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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Tommie Goerz
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prangerte an, wie geschickt Savitas war und wie dumm und naiv ihrer Meinung nach Club und Presse. Denn Savitas, ein Unternehmen allein für Atomkraftwerke, also für Ware, die noch in 100000 Jahren strahlt – und das finstere Mittelalter ist gerade einmal 500 Jahre her! Oh endlose, friedliche Zeit! – benutzte die Presse beinahe täglich für die Verbreitung positiver Meldungen über neue Arbeitsplätze, Spenden für Kindergärten und Horte, für die Tafel und jeden sozialen Scheiß und hatte sich auch noch beim Club eingekauft. Jeder spielte dieses Spiel einfach mit. Kein einziges kritisches Wort, kein einziger auch nur andeutungsweise erhobener Gedanke oder Zeigefinger, der auf das eigentliche Tun von Savitas verwies. Auf diese, so hatte sie geschrieben, unglaubliche Arroganz gegenüber der Menschheit, der Zeit. Nein, der Sponsor des Clubs war heilig und damit auch das, was er tat. Die Erde über Jahrtausende hinweg zu verseuchen. Atomkraftwerksbomben in Entwicklungsländer zu stellen. Felder hochstrahlender Container auf freiem Feld in Sibirien zu hinterlassen. Uranminen in Afrika auszubeuten. Uns ist es ja wurst, wir sterben ja alle schon bald, und bis dahin wollen wir es gut haben. In 100 Jahren ist von uns allen keiner mehr da. Was kümmern uns dann die nächsten vier-, fünftausend Generationen?
    Das alles stand in diesem Leserbrief in wohlgesetzten, doch scharfen Worten geschrieben – und niemand hatte jemals darauf geantwortet. Nicht einmal Savitas, die hielten einfach still. Dieser Leserbrief hatte Friedo Behütuns' Überzeugung im Kern getroffen, und er hätte die Ärztin gern einmal dazu befragt. Doch sie war nicht aufzufinden. Es gab ihren Namen nicht, es gab zumindest niemanden ihres Namens unter der angegebenen Adresse. Und niemanden dieses Namens in der Region. Irgendwann musste er noch einmal bei der Zeitung anfragen, wie so etwas denn geschehen konnte. Leserbriefschreiber mussten doch erst verifiziert werden, dachte er. Sonst würde ja alles veröffentlicht.
    Und noch etwas sammelte Behütuns mit Eifer: Berichte über erstaunlich, ja manchmal unglaublich Kreatives. Über Kreativität aus der Mitte der Menschen, Kreativität, die sich scheinbar spontan so ergab. Kreativität gegen die Macht, die die Menschen solidarisierte und stark machte. Kein einziger Preis war je für so etwas vergeben worden. Die Werber, die selbsternannte »Crème de la Créativité«, feierten sich immer nur selbst. Wer Preise gewinnen wollte, musste bezahlen. Allein in Cannes mitzumachen, kostete mehrere 100 Euro – für jede einzelne Arbeit, für jede einzelne Kategorie. Die kleineren, europäischen oder nationalen, Wettbewerbe waren da kaum günstiger.
    Das aber, was Friedo Behütuns faszinierte und sammelte, das waren Berichte über Vorkommnisse und Dinge, die wirklich Preise verdient hätten, zumindest wenn es nach ihm ginge. Über die Prager Mädchen von 1969 zum Beispiel, die, schwindelerregend schön und in Miniröcken, ihre Handtaschen über die Gewehre der sowjetischen Invasoren hängten, sie umarmten und fragten, ob man denn so, mit dem Gewehr in der Hand, seine Freunde besuche. Oder darüber, wie die Bürger Prags damals nach der Invasion ihrer russischen Freunde viele Straßenschilder abschraubten, um den Invasoren die Orientierung zu erschweren. Auch, dass an jedem zweiten Klingelschild plötzlich der Name Dubcek oder Svoboda stand oder stadtweit an die Wände die Nummern der Fahrzeuge gepinselt wurden, aus denen heraus auf offener Straße Verhaftungen vorgenommen wurden. Das war nach Behütuns' Geschmack. Ebenso wie die Perser, die nach der Wahlfälschung 2009 den Namen von Hussein Mussawi auf die Geldscheine schrieben, sodass er omnipräsent war. Die, sobald Ahmadinedschad im Fernsehen mit seinen Lügenreden auftauchte, sämtliche Elektrogeräte in den Haushalten einschalteten und so gemeinsam das Stromnetz zum Erliegen brachten. Niemand konnte den Lügner dann mehr sehen, nicht einmal mehr seine Freunde. Oder dass man in Deutschland dem damaligen Postminister und Schadstoffbatteriefabrikanten Schwarz-Schilling aufgebrauchte Batterien in die Briefkästen entsorgte, und vieles mehr. Von Berichten über solche Aktionen hatte er einen ganzen Ordner voll, über die Jahre gesammelt.
    Das war Friedo Behütuns, der Kommissar. Jetzt saß er bei einer Tasse Kaffee mit seinen Kollegen im Dienstzimmer und drehte sich eine Zigarette. Er würde sie dann wegwerfen, denn er rauchte nicht mehr. Aber drehen, das wollte er
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