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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Tommie Goerz
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ja an seinem Namen. »Behütuns« an sich war schon schwer genug zu tragen, man brauchte reichlich Humor, um mit so einem Namen durchs Leben zu ziehen. Zumal, wenn man auch noch mit dem Vornamen Friedemann gesegnet war. Friedemann. Friedemann Behütuns. Was sich seine Eltern wohl dabei gedacht hatten? Er hatte es nie erfahren, seine Eltern waren früh gestorben. Eine gut fünf Zentner schwere Sandsteinplatte, Gestein aus der Region, die seither über ihnen lag, machte jedes Fragen nutzlos. Behütuns hatte sie eigenhändig ausgesucht. Seine Mutter hatte sich zwar immer eine schön polierte, schwarze, marmorne Platte gewünscht, Behütuns aber hatte sich für eine dicke Sandsteinplatte entschieden. 20 Zentimeter grob geschnittenes Pleistozän. Das musste genügen, um die beiden zuverlässig dort drinnen zu halten. Die Platte setzte auch schon Moos an, wunderbar zart und grün. Alles lief hier nach Plan, und Behütuns erfreute der Anblick jedes Mal aufs Neue, wenn er auf dem Friedhof war.
    Egal. Friedemann Behütuns hatte sich irgendwann eigenhändig umgetauft in Friedo Behütuns, sogar auf seiner amtlichen Visitenkarte. Niemand hatte das je bemängelt, zumindest bisher nicht. Aber ganz sicher würde irgendwann einmal irgendeine sehr kluge und aufmerksame neue Sekretärin darüber stolpern und ihn zur Rede stellen. Er wartete nur auf diesen Tag. Er würde ihr sofort einen Heiratsantrag machen, allein um sie zumindest in dieser Hinsicht bis ans Ende ihrer Tage ruhig zu stellen. In absehbarer Zeit allerdings würde es keine neue Sekretärin geben, denn sein Team hatte bereits eine, und zwar schon seit Langem. Frau Klaus, die Teamassistenz. Eigentlich war es ja Herr Klaus, er spielte seine weibliche Seite aber so offensiv und selbstbewusst aus, dass alle ihn nur noch »Frau Klaus« nannten. Und sie genoss es auch. Es waren also keine Überraschungen zu erwarten.
    Friedo Behütuns zählte zu den 160 Abonnenten des Jahreskalenders der Hersbrucker Bücherwerkstatt. Das war der Humor, den er liebte. Große, schöne Kalenderblätter, via Heidelberger Zylinder im Tiefdruck und per Hand schräg bedruckt. »Gradnaus schräg«. Mal zu diesem Thema, mal zu jenem, aber immer von ausgesuchter und entscheidender Relevanz. Für nichts. Er besuchte die Drucker oft. Oder öfter mal. Vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr. Ja, das war oft! Und immer samstags, denn nur dann waren sie da, im hintersten Raum ihrer Werkstatt, dem sogenannten »Sozialraum«. Dort gaben sie dem Unsinn einen Sinn. Oder umgekehrt. Der Reflexion des »Hmbfhhh« der fränkischen Stammtische. Grabungsarbeiten an der fränkischen Seele. Ohne auch nur einen einzigen Finger zu rühren. Man saß und saß und saß und trank vielleicht auch, und das eine oder andere Bier brachte einem den Sinn dann schon näher. Oder auch weiter weg. Oder nirgendwohin. Oder irgendwohin. Das spielte keine Rolle. Die Gegenwart brach einfach oft mit solcher Macht herein, dass nichts blieb als die Fliegen am Fenster, vielleicht mal ein hinterhältiges Grinsen oder einfach nur dieses ehrfürchtig erhabene »Hmbfhhh«.
    Dieses »Hmbfhhh« war ohnehin etwas, das es immer seltener gab: Dass man auf dem Land mitten am Wochentag ein Wirtshaus betrat, in dem zwei, drei Personen am Stammtisch saßen, ohne etwas zu tun. Ein Seidla Bier vor sich – halb voll? halb leer? verkopftes Geschwätz, halt halb – die aufschauten oder nicht, meistens nicht, wenn man reinkam, und wenn sie doch die Köpfe anhoben, dann sofort wieder in ihre Ausgangshaltung zurückfielen. Das alles nur in Zeitlupe. Zeitdehner, hatte man früher gesagt, das traf es viel besser. Man schaute ja nicht hin und vergrößerte es, es ging alles nur unglaublich langsam voran. Gedehnt. Jede viertel Stunde vielleicht, dann aber nur, wenn überhaupt, von einem, und wirklich auch nur vielleicht, ein »Hmbfhhh«. Sonst nichts. Augenblick der Sterne. Ganz außergewöhnlich und nur sehr selten zu beobachten, wenn einer einmal ein »Weadschaffd« oder ein »Nuahns!« ausstieß, meist hob er nur die Hand. Und das auch nicht schnell, die Fliegen blieben dabei jedenfalls sitzen oder liefen weiter über die Hand. Diese bewegte sich ausschließlich im Handgelenk, ganz leicht, der Unterarm blieb garantiert auf dem Tisch.
    In solchen Wirtshäusern – in manchen legte man zur Bestellung seinen leeren Krug einfach um – hatte Friedo Behütuns schon manchen Nachmittag zugebracht. Während der Dienstzeit. Der ganze Quatsch des Lebens kam hier auf den
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