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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Tommie Goerz
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treffen sich die vier – Schrader, Hölzer, Sauer und Pitsch – beim Stock zum Karteln. Schafkopf, kurzer Vierer. Ein Fremder verirrt sich kaum hierher. Das Wirtshaus hat zwar die ganze Woche über geöffnet, doch nur am Freitagabend ist hier Betrieb. Dann sind meist zwei, drei Tische besetzt mit Kartenspielern, immer die gleichen Personen. Die meisten aus dem Dorf.
    Schrader, Hölzer, Sauer und Pitsch, unter sich Usch, Schmidla, Risch und Maschder, kommen schon seit ihrer Kindheit hierher. Sie stammen alle aus dem Dorf und kennen sich seit der Schulzeit. Nicht aus der gleichen Klasse – oder doch. Aber nicht aus dem gleichen Jahrgang. Damals gab es noch das dreiklassige Schulsystem. Und das bedeutete: Für erste, zweite und dritte Klasse je ein Lehrer und ein Klassenraum, das gleiche für vierte, fünfte und sechste Klasse wie auch für »die Großen« in der Siebten und Achten. Diese Aufteilung fand sich zwei Mal im gleichen Gebäude – aber nicht nach Mädchen und Jungen getrennt, wie man vermuten würde, sondern nach Konfessionen. Kam man damals in das Schulgebäude, ging man aus der gemeinsamen Aula nach links in die Bekenntnisschule, die der bibelfesten Katholiken, über die der Pfarrer waltete, und nach rechts, spiegelverkehrt, in die Gemeinschaftsschule, den Flügel für die nicht so bibelfesten oder pfarrerhörigen Katholiken und die wenigen Protestanten im Ort. Ausländer, Atheisten oder etwas Ähnliches gab es damals nicht, nicht hier im Dorf und auch sonst kaum im Land. Die Vielfalt kam erst später. Und aus dieser Zeit, der Zeit davor, kannten sich die vier. Jetzt waren sie alle Anfang, Mitte 20 und jeder schon im Beruf.
    Draußen war es wieder ruhig geworden, das Gewitter war vorbei. Wie so oft hier ist es nur kurz und heftig gewesen, und selbst das kam selten genug vor. Gewitter gab es in Nürnberg oder Forchheim, in Bubenreuth gab es sie nicht. Niemand konnte erklären, woran das lag, aber es ist bis heute so. Man sagt, es liege am Fluss, warum aber, das weiß keiner. Das eine ist eben Beobachtung, das andere die Erklärung. Und Beobachten war damals nicht schwer – Erklären ist es noch heute. Genauso wie heute Beobachten.
    Uli Schrader, der Usch, betrieb die Tankstelle seines Vaters an der Bundesstraße, kurz vor der Stadt Erlangen. Esso, Tiger im Tank. Da musste man nicht viel lernen und denken. Die Autos kamen und tankten, und beinahe täglich wurden es mehr. Er schraubte, das hatte er gelernt, und das konnte er auch, sein Vater war schließlich Meister. Jeder aus dem Dorf brachte sein Auto hierher, auch Mähdrescher oder Traktoren. Da gab es mal was zum Schweißen, mal eine Dichtung auszuwechseln, einen Filter zu reinigen, viel mehr war es nicht. Das lief, und man machte sich keine Gedanken.
    Wolfgang Hölzer zum Beispiel brachte seine Traktoren. Er war Landwirt. Bauer sagte man hier. Noch so ein richtiger Bauer mit Kühen, Hühnern, Schweinen, Gänsen, Enten, nein, keinen Pferden mehr, und jeder Menge Arbeit und Land. Kein Mensch sagte Wolfgang zu ihm. Man nannte ihn »Schmidla«, denn sein Hof gehörte ursprünglich den Schmidts. Das bleibt auf dem Land, auch wenn einer mit anderem Namen einheiratet. Der Name des Hofes bleibt, wer den Hof macht, ist egal. So war Hölzer als Bauer des Schmidthofs »es Schmidla« und nicht der Wolfgang Hölzer. Normal.
    Der Risch, also Richard Sauer, fiel ein bisschen aus der Reihe. Er hatte studiert, einer der ersten überhaupt im Dorf, war gerade Ingenieur geworden und fing in diesen Tagen bei der KWU an, einem Unternehmen von Siemens, das Kernkraftwerke baute, und zwar auf der ganzen Welt. Der hatte es schon weit gebracht – in einer Welt, die den anderen völlig fremd war. Deshalb war er auch etwas Besonderes. Aber er wohnte im Dorf, und die Runde war ihm, wie den anderen auch, so etwas wie heilig. Undenkbar, dass man am Freitag etwas anderes tat. Man traf sich einfach beim Stock.
    Fehlt noch der Maschder, so nannten sie den Wolfgang Pitsch. Der war, nach dem Schmidla, der Zweitälteste und arbeitete im Dorf als Maurer. Hatte seine Lehre gemacht und war jetzt Polier. Auch er wurde, wie der Usch, im Dorf viel gebraucht. Fast in jedem Haus gab es immer irgendwo irgendetwas zu mauern und zu verputzen. Am Freitag aber saßen sie hier. Kleiner Raum, sechs Tische, Resopal, drüben der Tresen unterm Neonlicht und an den Tresen gelehnt auf einem Stuhl, fast immer im Halbschlaf und, wie schon gesagt, mit verschränkten Armen, die Mari, die einzige Frau. Frauen
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