Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Tommie Goerz
Vom Netzwerk:
Prickeln. Hatte er schon lange nicht mehr empfunden.
    Die Welt war verlogen, dachte sich Natzel: Man hatte Handke das Gedicht gestohlen. Ein wenig abgewandelt zwar im Versuch, das Plagiat zu kaschieren, aber die Idee war eindeutig geklaut. Werber hatten das getan in Anzeigen für »sein« Magazin, die 11Freunde. Hier hieß das Gedicht dann zum Beispiel »Zeitgenössischer Spanischer Klassizismus«:
    Barça
    José Edmílson Gomes
    Albert Joquera
    Rafael Marquez Álvares
    Carles Saforcada
    Valdés Arribas
    Albert Jorquera Fortia
    Oleguer Presas
    Ronaldo de Assis Moreira
    Samuel Eto’o
    Andres Iniesta
    Fernando Navarro
    Gabriel Garcia
    Juliano Belletti
    Thiago Motta
    Ludovic Giuly
    Deco Luís de Souza
    Frank Rijkaard, 2004
    Variationen dieses Plagiats gab es auch noch unter den Überschriften »Zeitgenössischer Englischer Realismus« zu ManU und »Zeitgenössische Italienische Romantik« zu Inter. Billig, abstoßend, eklig. Von Kreativen einer Agentur geklaut. Einer angesehenen Agentur, einer der kreativsten Deutschlands. Und zusätzlich empörend: Die Plagiate hatten auch noch bei einem Werber-Wettbewerb Silber gewonnen. Platz zwei. Das alles stinkt doch, dachte Dr. Natzel sich, viel mehr noch als die Luft hier im Raum. Aber er spülte noch nicht. Er besah sich durch die Beine sein Werk. Früher, als Kind, hatte er es oftmals gar nicht erwarten können, sich seinen Haufen anzusehen. Das Gewusel, das immer aus diesem hervorkroch, die vielen kleinen weißen Maden und Würmer. Das gab es jetzt alles nicht mehr. Oder doch, nur die Maden waren woanders. Denn noch empörender war es für Dr. Natzel gewesen, als er einmal las, wie diese Plagiate ihren Preis gewonnen hatten: Die Köpfe der Agentur nämlich hätten höchstpersönlich in der Jury gesessen und sich den Preis, wie viele andere auch, wohl selber zugeschanzt. Da fragt man nicht nach Plagiat und geistiger Urheberschaft, da klaut man einfach und verschweigt. Plustert sich stolz die Brust auf. Mit fremdem geistigen Eigentum. Oder ist einfach zu blöd und ungebildet oder zu unbelesen, um den Zusammenhang zu kennen und zu erkennen. Hans Natzel ließ einen Furz. Die Welt ist schlecht und widerwärtig und verlogen, dachte er noch mal, man muss nur genau genug hinsehen. Was oberflächlich glänzt, ist drunter meistens faul. Es stinkt. Und auch hier verspürte er Zerrissenheit. Denn eigentlich, das musste er sich eingestehen, war dieses Magazin eines der wenigen, die ihm behagten. Es zelebrierte Fußballflair und Fußballgeruch, der längst vergangen war. Und das – dieses Zelebrieren, Wiederbeleben, Wiederholen – war schön. Und gleichzeitig doch so falsch.
    Ach Gott, entfuhr es ihm in seiner Wolke. Unsicher stand er auf, beendete die Sitzung und spülte. Weg mit dem ganzen Dreck! Wackelig stand er am Spültisch, die Beine wachten langsam wieder auf, es kribbelte beinahe schmerzhaft. Frische Luft kam durchs geöffnete Fenster. Jetzt raus aus dem Gestank!

Es brannte kein Licht.
T.C. Doyle
2. Kapitel
    20 Kilometer nördlich von Nürnberg, vor über 40 Jahren. Abseits der alten B4 liegt ein kleiner Ort am Fuße des Rathsbergs, Bubenreuth. Noch gibt es den alten Main-Donau-Kanal, versandet zwar und verschlammt, aber deutlich zu erkennen. Noch brüllt durch das Regnitztal kein Frankenschnellweg, noch gibt es an der Bahnlinie dort eine Schranke. Blaukehlchen leben am alten Kanal, Eisvogel, Wasseramsel, Pirol.
    Direkt an der B4, gegenüber dem Bahnhof, steht ein einzelnes Haus. Ein Wirtshaus, außen herum ist nichts. Es ist das einzige Gebäude jenseits der Straße, dahinter nur Äcker, Wiesen, der Fluss.
    Zum Ort selbst führt vom Bahnhof aus eine Straße. 400 Meter außerhalb liegt der Haltepunkt. So weit ist man damals gelaufen.
    An der Bahnlinie eine Schranke, gekurbelt per Hand. Der Bahnhof ist heute noch immer da. Die Schranke ist weg, die Äcker und Wiesen sind weg – eine riesige Tankstellenanlage steht jetzt dort, ein großer Kreisverkehr wurde hingebaut, ein Supermarkt, ein Discounter, eine Großbäckerei und dahinter die breite Autobahn. A73, auch »Frankenschnellweg« genannt.
    Jenseits der Bahnlinie vom Wirtshaus aus – die Straße führt jetzt unter ihr hindurch – ist der Ort fast bis an die Schienen herangewachsen. Nur ein schmaler Ackerstreifen trennt heute noch Häuser und Bahn.
    Die neue Zeit frisst das Land wie ein Krebsgeschwür. Das Wirtshaus aber steht heute noch dort. Ebenso wie vor weit über 40 Jahren.
    Windböen fegen über den Regnitzgrund,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher