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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Tommie Goerz
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»Warum waren Sie am Flughafen? Kein Mensch konnte doch auch nur irgendeine Ahnung haben, dass ihr hochgeachteter Grongel« – wie vulgär und normal das klang ohne den Titel, so ehrlos, respektlos, fast wie beleidigend – »etwas mit dem Fall zu tun haben könnte.«
    Das war genau der Grund, aus dem Hartung – ja, auch für den muss das gelten mit dem albernen Standestitel! – den Kommissar zu einem Abendbier eingeladen hatte. Am Flughafen hatte er sich sehr schnell verdrückt, zur Verabschiedung hatte er ihm aber noch zugerufen: »Wir müssen uns sehen!« Heute Nachmittag dann hatte Frau Klaus ihn angerufen und ausrichten lassen, dass Hartung hier auf ihn warte. Sollte es nicht klappen, möge er sich doch bitte kurz melden. Behütuns hatte das nicht getan, und so waren sie jetzt hier.
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte der, »aber ich will es kurz machen.« Er veränderte seine Sitzposition, sodass er die vulgär lachenden und grölenden Lackmeier vom Gartentresen in seinem Rücken hatte. »Ich muss die nicht unbedingt sehen«, entschuldigte er sich.
    »Aber ich«, protestierte Behütuns, dem sie genau im Gesichtsfeld standen. Auch er setzte sich um. Nun saßen sie beide nebeneinander, den Eingang des Hofes im Rücken, den des Lokales im Blick wie auch die Tische, die sich langsam füllten. Wohlriechende Damen und Herren in feiner Kleidung. Wie es sich Behütuns vorgestellt hatte.
    »Sie fühlen sich genauso fremd hier wie ich. Das hatte ich gehofft. Komische Umgebung; nichts für unsereins.«
    »Ja, schwer auszuhalten«, stimmte Behütuns zu.
    »Jetzt stellen Sie sich vor, Ihr ganzes Leben ist so.«
    »Wie?«
    »Na, Ihr ganzes Leben ist so, dass Sie sagen, das passt nicht.«
    »Ja und? Auf was wollen Sie hinaus?« Behütuns verstand nicht recht.
    »Stellen Sie sich vor, Ihr ganzes Leben über, egal was Sie tun und machen, haben Sie das Gefühl: nichts passt. Sie sind hier fehl am Platz. Was passiert dann?«
    »Ich fange an zu saufen.«
    »Richtig. Oder?«
    »Ich komm in die Klapse.«
    »Exakt. Es macht Sie krank, so oder so. Und bringt Sie irgendwann um. Oder Sie laufen Amok, irgendwas. Darauf wollte ich hinaus.« Dr. Hartung schien zufrieden.
    »Und«, fuhr er fort, »genau deshalb habe ich Sie hierher eingeladen. Um das mal plastisch zu machen.«
    Das also ist der Grund, aus dem wir hier sind, dachte sich Behütuns. Er hakte das Thema ab.
    Und Hartung schob hinterher:
    »Ich glaube, dass das sowohl dem Vater als auch dem Sohn ein Leben lang so ergangen ist. Dem Georg und dem Hans. Sowas vererbt sich ja sozial, kann es zumindest, um das mal so ganz salopp zu sagen.«
    Behütuns nickte. »Aber, ehrlich gesagt, jetzt sind Sie mir schon viel zu weit. Warum waren Sie am Flughafen? Das haben Sie mir noch nicht gesagt.«
    »Stimmt«, sagte Hartung, »das hatten Sie ja gefragt. Also …« Er nahm erst noch einen Schluck, sein Krug – sein Krüglein – war schon wieder leer.
    »Sie müssen sich das so vorstellen«, begann Hartung seine Schilderung. »Sie arbeiten …«
    Die Bedienung kam vorbei, lächelte, schon wieder ein Punkt auf der Skala, und fragte, ob alles in Ordnung sei.
    »Dr. Hartung nähme noch ein Bier«, sagte Hartung gespielt selbstdistanziert. »Und der Herr von der Polizei sicher auch noch eins«, und sah ihn fragend an.
    »Ja, Herr Doktor, die Polizei trinkt heute auch.« Das Spiel war durchschaut. So also lief das! Wenn einem der Titel nicht im Gesicht stand oder man nicht bekannt war im Etablissement, dann wird das en passant mit eingeflochten. So ganz aus der Distanz, mit kalkuliert artgerechtem Witz und wie zufällig. Und schon stimmt die Achtung. Die Selbstachtung, resümierte Behütuns. Denn das Mädchen war dadurch sicher nicht zu beeindrucken. Die sieht eh nur lauter gleichgefärbte Lackaffen, die etwas sein wollen. Und morgen sind sie alle wieder weg und der nächste Schwung wird ausgeladen, hineingeschüttet in die Event- und Managementgastronomie mit ihren Dufträumchen im Farbenklima.
    »Sie müssen sich vorstellen, Sie arbeiten …«, begann Hartung, »in einem Krankenhaus. Als Psychologe«, und dabei deutete er auf sich, »unter lauter Medizinern. In dieser Hierarchie haben Sie einen schweren Stand. Denn die Herren Doktoren der Medizin«, und dazu legte er seinen Zeigefinger unter die Nase und hob diese mitsamt dem Kopf an, »sind etwas ganz Besonderes.«
    »Einser-Schüler halt«, schob Behütuns ein, »die waren schon immer sozial komisch.«
    »So meinte ich das gar nicht,
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