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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten
Autoren: Oliver Buslau
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verwildertem Grün. Das Gebüsch hat hier eine solche Höhe, dass es den alten Mann vor den Blicken zufälliger Spaziergänger auf dem Asphaltweg verbirgt. Er ist wie von einer grünen Mauer geschützt.
    Ächzend zieht er den Koffer bis zur Wasserlinie. Er holt die Karte hervor und vergleicht seine Position. Es dürften gut tausend Fuß sein.
    Als er hinüber zum Denkmal sehen will, muss er die Hand schützend vor die Augen halten. Hinter dem Kaiser steht grell die Sonne. Die Figur auf dem Pferd wirkt wie ein Schattenriss.
    Der alte Mann öffnet den Koffer und beginnt mit den Vorbereitungen.

20
    »Wo wollen Sie hin? Das ist ein Polizeieinsatz. Hauen Sie ab.«
    Mike war mit hinuntergefahren und hatte sich neben den grünweißen Wagen gestellt, in den Nickenich gerade einsteigen wollte.
    »Haben Sie etwa gedacht, Sie können mitfahren?« Nickenich grinste höhnisch. »Ich glaube, Sie haben jetzt genug Detektiv gespielt.« Türen schlugen. Der Wagen fuhr mit Blaulicht und Sirene davon.
    Mike hastete den Moselring entlang und gelangte hinter der Herz-Jesu-Kirche hindurch zum Löhrrondell. Als er dort angekommen war, wurde ihm vor Anstrengung schwarz vor Augen. Er stieg in das erstbeste Taxi.
    »Zum Deutschen Eck bitte«, keuchte er. »Wenn’s geht, schnell.«
    »Aber bitteschön«, sagte der Fahrer, und einen Moment vermutete Mike, an den Typen von heute Morgen geraten zu sein. Es war jedoch ein anderer.
    »Was ist denn hier los?«, fragte der Taxifahrer laut, als sie an der Kastorkirche vorbeifuhren. Zwei Polizeiwagen standen an der Seite. Mike sah Nickenich und mehrere Uniformierte im Gespräch mit Passanten. Wahrscheinlich die Leute, die die Meldung über den Mann mit dem Kontrabass gemacht hatten.
    »Wo wollen Sie denn jetzt genau hin?«, wollte der Taxifahrer wissen.
    »Direkt hinter das Denkmal«, sagte Mike. »Da steige ich aus.«
    Der Wagen hielt, Mike reichte dem Fahrer seine letzten Euro und rannte auf den Denkmalvorplatz.
    Er stoppte vor der breiten Treppe. Touristen in kleinen Grüppchen. Manche fotografierten. Andere johlten oben von der Balustrade herunter. Kinder schrien.
    Mike hatte gedacht, in eine Schreckensszenerie einzutauchen. Er hatte Nair, den alten Soldaten, an der Spitze des Dreiecks vermutet, wie er mit seiner Gimlet auf den Kaiser zielte. Aber alles war normal.
    Von irgendwoher drang die Musik des einsamen Musikers an sein Ohr. »Tea für Two« – dasselbe Stück wie beim letzten Mal. Mike hörte eine Weile zu, und plötzlich fiel der Groschen.
    Er wird sich nicht hier unten hinstellen und schießen, dachte er. Er wird sich eine andere Stelle suchen. Eine, die weiter entfernt ist. Die Gimlet hat einen Aktionsradius von mehreren Kilometern. Nair kann überall sein. Das ist auch der Grund, warum sie ihn bei seinem Übungsschießen in Mayen nicht gekriegt haben. Er war weit weg. Sehr, sehr weit.
    Mike wurde plötzlich kalt. Es war, als würde ihn ein eisiger Hauch streifen. Er sah zum Kaiser hoch, der drohend und dunkel in den Himmel ragte.
    Sollte er Nickenich holen? Der überprüfte lieber seine Zeugenaussagen und ging alles tausendmal durch, bevor er ihm glaubte.
    Wie der Teufel rannte Mike die Stufen hinauf, drängelte sich durch die Touristen, die sich vor dem engen Zugang zu der Säulenetage stauten. Er ignorierte die wütenden Rufe hinter sich und machte, dass er die Wendeltreppe hochkam. Hier musste er warten, weil Gegenverkehr herrschte. Einer der Angerempelten von draußen erreichte ihn und versuchte zu protestieren. Mike kümmerte sich nicht darum. Er stürzte hinauf, orientierte sich und fand den Weg nach vorn – die Aussicht zur Bugspitze. Es war nichts Besonderes zu sehen.
    War seine Theorie doch nur eine absurde Konstruktion gewesen?
    Das hat dich doch alles ziemlich mitgenommen, alter Junge. Du siehst Gespenster. Kein Wunder. Wenn man bedenkt, was du alles in den letzten Tagen erlebt hast. Da würden ganz andere Leute ausflippen.
    Bleib jetzt mal ganz ruhig, sagte sich Mike. Geh schön nach unten. Alles wird wie vorher sein. Was soll’s.
    Sollte man sich nicht an kleinen Dingen erfreuen? Zum Beispiel an dieser Aussicht?
    Er ließ seinen Blick über den weltberühmten Zusammenfluss von Rhein und Mosel schweifen. Da blieb er an einer kleinen Figur hinten links hängen. Sie stand auf einem Strandstück am Ufer, hinter dem Campingplatz.
    Die Figur hielt ein Rohr auf der Schulter. Es sah aus wie eine Panzerfaust.
    *
    Ein großer grüner Busch ragt ein paar Schritte ins Wasser
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