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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen
Autoren: G Haderer
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sich um und ging. Schäfer blieb einen Moment am Gang stehen und überlegte. Obwohl er übermüdet und erschöpft war, wollte er noch nicht ins Hotel zurück. Er öffnete die Tür zu einem kleinen Balkon, trat ins Freie und zündete sich eine Zigarette an. Kern musste überleben. Nicht, um ihn über die noch fehlenden Zusammenhänge aufzuklären – das erschien Schäfer im Moment nebensächlich. Er fühlte sich in seltsamer Weise verantwortlich für den offenkundig schwer kranken Inspektor. Natürlich würde er mindestens die nächsten zwanzig Jahre in sicherer Verwahrung bleiben – ob im Gefängnis oder in einer Anstalt für psychisch Abnorme, würden die Gutachter und das Gericht entscheiden. Aber Kern war noch keine dreißig. Und er hatte ein Recht darauf, ein anderes Leben kennenzulernen. Eins, das frei war von der Verzweiflung und dem Wahnsinn, die ihn so weit getrieben hatten. Kern sollte irgendwann einmal glücklich sein, dachte Schäfer, warf seine Zigarette auf den Parkplatz hinunter und ging zurück auf die Intensivstation.
    „Ich bin nicht hier, um dich zu verhören… ich möchte, dass du gesund wirst … einfach nur, damit du am Leben bleibst. Wenn du mir diesen Gefallen tust, werde ich mich für dich einsetzen. Weißt du, Kern, ich kann nicht in dein Herz hineinschauen … aber ich glaube, dass dir das Unglück kaum Chancen gegeben hat. Du hast es versucht, da bin ich mir sicher … warum wärst du sonst Polizist geworden. Das ist ein schmaler Grat, das weiß ich. Du bist auf die eine Seite gefallen, ich auf die andere. Aber man kann auch wieder hinaufklettern … und es wieder versuchen. Der Arzt hat gemeint, dass du mich hören kannst. Also wenn ich zu viel Blödsinn erzähle, dann blinzle, wenn das geht. Ich möchte dir eigentlich auch erzählen, wie es mir damals ergangen ist. Ich habe viel Scheiß gebaut hier … ein Wunder, dass ich nicht selbst im Gefängnis gelandet bin … keine Ahnung, was du davon schon weißt, irgendwie habe ich das Gefühl, dass du mich ziemlich gut kennst … aber vielleicht will ich das nur … dass wir uns gegenseitig verstehen … auch wenn du mich fast so weit gebracht hast, dass ich dich den Sonnbichler umbringen lasse. Na ja, eigentlich habe ich mich selbst so weit gebracht, das gebe ich zu. Hoffentlich bist du mir nicht böse, wenn ich nichts davon sage, dass ich dich zu ihm geschickt habe. Da könnte mir der Reinisch einen Strick daraus drehen und dafür mag ich meine Arbeit zu gern … mein Ruf ist auf dem Spiel gestanden … und das in meinem Geburtsort … obwohl ich immer sage, dass mir das egal ist … aber seine Herkunft … wir werden morgen deine Wohnung auf den Kopf stellen, das ist dir ohnehin klar, aber ich werde aufpassen, dass nichts verloren geht, was dir etwas bedeuten könnte: Fotos oder das Buch von deinem Vater oder was in der Richtung. Ich gehe jetzt schlafen und morgen will ich dich in einem besseren Zustand sehen. Schließlich haben wir noch einiges zu bereden … von Kollege zu Kollege sozusagen … oder von Mann zu Mann, wenn dir das besser gefällt. Gute Nacht, Kern … erhol dich.“
    Schäfer verließ das Zimmer und verabschiedete sich von dem Beamten, der vor der Station auf einem Plastikstuhl saß und in einem Buch las. Er ging zum Empfang, wo er Havelka auf einer Transportliege schlafend vorfand. Er rüttelte ihn sanft an der Schulter.
    „Havelka, los, fahren wir“, sprach er ihn an und wartete, bis sein Kollege sich von seinen Träumen gelöst hatte.

48
    Um zehn Uhr wurde Schäfer vom Zimmertelefon geweckt. Er nahm den Hörer ab und brauchte einen Moment, bis er die Stimme Bruckner zuordnen konnte.
    „Hm … Ja … Haben Sie jemanden vor Kerns Wohnung, damit da nicht einer auf falsche Ideen kommt? … Gut … Nein, kein Problem … Aber eine Stunde brauche ich sicher noch … Danke … Bis gleich.“
    Obwohl Schäfer seine Kollegen gebeten hatte, mit niemandem über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu sprechen, war das Revier laut Bruckners Aussagen unter Belagerungszustand. Was Schäfer nicht weiter verwunderte: Sonnbichlers Nachbarn, das Krankenhauspersonal, der Polizeifunk … Mitteilungsbedürfnis und Neugier halfen der Polizei genauso wie sie ihr manchmal auf die Nerven gingen. Er stand auf und wankte schlaftrunken ins Badezimmer. Sein Spiegelbild war nicht eben charmant. Nachdem er geduscht hatte, fühlte er sich zwar sauber, aber genauso erschlagen wie zuvor. Zudem hatte er vergessen, seinen Verband abzudichten, den
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