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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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gar nicht so schlecht, ab und zu wählerisch zu sein.
    Bernie ist mittlerweile so besoffen, dass er fröhlich herumlallt und kein Mensch mehr seine Worte verstehen kann, und mir wird das alles zu blöde, deswegen beschließe ich, mich in mein romantisches Turmzimmer zurückzuziehen und zu schlafen.
    »Aber wir wollten doch noch gemütlich beisammensitzen«, klagt Isolde. »Das ist doch so ein schöner Abend. Ach, ach, ach, bei mir fängt’s schon wieder an, überall zu jucken. Unterm Busen ganz besonders, da kommt ja auch keine Luft dran, das hat der Doktor Weick immer gesagt. Wenn sich da keine Schuppenflechte oder eine Pilzerkrankung ausbreitet. Das sind Biotope, die Stellen unter dem Busen. Weil der Busen ja hängt, wisst ihr?«
    »Mutti!« Annkathrin ist das wieder sehr unangenehm, wegen der Verwandtschaft aus dem Saarland. Aber die scheint es gar nicht so schlimm zu finden, mitleidig nickt sie.
    Tante Gertrud sagt: »Isch hann emol e vaginaler Herbes gehadd, das war aach kään Schpass, das kinne ihr mir glaawe. Denne han isch fascht nit wegkritt, denne Herbes.«
    Und ihr Mann Fritz ergänzt: »Joo, iwwerall hat die komisch Kräm rumgelää! Un wie die geruch hat.«
    Ich stehe auf, weil es mir reicht. »Gute Nacht.«
    »Das kann joo aach net mitschwätze«, versucht sich Tante Gertrud meinen Abgang zu erklären. »Das is wahrscheinlich dodal gesund. Das wääß joo gar nitt, was Schmerze sin. Ah ja, hann isch eisch eischendlisch vunn demm Hogewurm vazehlt, wo in meine Organe gewohnt hat? Joo, das war sooo … «
     
    Eine Viertelstunde später stehe ich in meinem Pyjama am offenen Fenster, starre nach draußen und trinke noch ein Glas Rotwein. Am liebsten würde ich noch mehr trinken, aber ich mag morgen keinen dicken Kopf haben. Wir haben Vollmond, und alles ist unwirklich beleuchtet, man könnte es schön finden, wenn man einen Sinn für so etwas hätte.
    Und da sehe ich ihn wieder.
    Den Wolf.
    Er steht mitten im Mondlicht auf einem Weg und schaut nach oben zu mir.
    Ich glaube, ich kann sogar das Glitzern in seinen Augen erkennen. Ein paar Minuten später dreht er sich langsam um und trottet den Weg entlang. Und dann ist er im Wald verschwunden.
    Und ich habe schon wieder dieses seltsame Gefühl.
    *
    Wir stehen im historischen Burggarten und warten auf den Pfarrer, der sich verfahren hat, obwohl er aus dem Nachbarort kommt. Die übrigen Gäste sind übrigens immer noch nicht da, aber Annkathrin meinte, daran könne man jetzt auch nichts ändern. Irgendwie ist wohl ein Zug entgleist, und das kann dauern. Sie sagte, je später der Abend, desto besser die Gäste oder so.
Jedenfalls scheint sie nicht traurig zu sein, was mich wieder verwundert, von mir aber nicht weiter kommentiert wird. Ich will einfach nur diese entsetzliche Zeremonie hinter mich bringen.
    Ich trage meine beste Jeans und eine Folklorebluse, von der Annkathrin meint, sie sei in den Siebzigern mal modern gewesen, heute jedoch eine Zumutung fürs Auge, weil sie auch noch mit Blüten bestickt ist. »Immerhin bist du meine Trauzeugin«, hat sie leicht angesäuert gesagt. Sie selbst trägt das Baiserkleid und hat Wicken in ihren blonden Locken. Niesen muss ich trotzdem nicht, was mich wundert. Ich reagiere sonst immer auf alles Mögliche mit Niesreiz. Selbst auf meinen Psychotherapeuten, bei dem ich eher zufällig gelandet war vor zwei Jahren. Er war natürlich auch ein Fahrgast und hat mir Geld dafür geboten, mich als Studienobjekt benutzen zu dürfen. Ein Jahr lang bin ich mehrmals pro Woche für jeweils hundert Euro Honorar pro Stunde zu ihm gefahren, hab mich in einen Sessel gesetzt und mich ausfragen lassen.
    »Sie müssen doch Gefühle haben«, bekam ich ständig von Herrn Christiansen zu hören, der an mir verzweifelte. »Jetzt lassen Sie doch mal Ihre Gefühle raus.«
    »Welche Gefühle?«, war meine Standardgegenfrage.
    Er versuchte mit allen Mitteln, mich zum Weinen zu bringen. »Angenommen, Sie sitzen in Ihrem Taxi und fahren jemanden um. Lassen wir es eine Familie mit fünf Kindern sein. Diese Familie kommt gerade schwer bepackt mit ihren Weihnachtseinkäufen aus einem Kaufhaus. Sie freuen sich auf den Heiligen Abend, sind guter Dinge ob der vielen schönen Sachen, die sie erstanden haben, und dann kommen Sie und … bumm!«
    »Das wäre dann die Schuld der Familie«, entgegnete ich. »Ich fahre nämlich niemanden um. Ich fahre vorausschauend und sehr, sehr vorsichtig.«
    »Es würde Ihnen also nichts ausmachen, eine siebenköpfige
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