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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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von mir und reiße dem Pagen, der mein Gepäck aufs Zimmer bringen will, die Koffer aus der Hand, weil ich mich sonst ja wieder
bedanken beziehungsweise ihm ein Trinkgeld geben müsste, was für mich unter absolut gar keinen Umständen in Frage kommt. Geld bekommen die wenigsten Menschen von mir. Manchmal mein Vermieter, manchmal der Stromanbieter, aber schon mal gar nicht Leute, die sowieso schon bezahlt werden. Wieso sollte ich einem Pagen zwei Euro geben? Er hat doch sein Gehalt. Wie beabsichtigt reagiert er irritiert auf mein »Garrrrr!« und flüchtet, während ich alleine mit den beiden Koffern mein Zimmer suche.
    Annkathrin hat darauf bestanden, dass ich eins der schönen Turmzimmer bekomme, obwohl ich darauf überhaupt keinen Wert lege. Ich kann auch auf dem Dachboden oder im Keller schlafen. Im Keller gibt es bestimmt Schimmelpilze, und das ist nicht gut für die Gesundheit. Ich hatte das vorgeschlagen, und kurzzeitig hat sich Hoffnung in mir breitgemacht, die aber von Annkathrin im Keim erstickt wurde. Das hab ich jetzt davon. Das Turmzimmer hat sogar ein Himmelbett. Leider gibt es keine Balken, an denen ich mich erhängen könnte. Romantisch, das Zimmer. Also genau das Richtige für mich.
    Ich schmeiße meine Koffer in eine Ecke und lasse mich über die Rezeption mit Annkathrin verbinden. Sie wollte zum tausendsten Mal den Ablauf mit mir durchgehen. Aber Annkathrin ist natürlich bei der Maniküre. Weil ich sonst nichts zu tun habe, latsche ich ein bisschen in der Burg herum, dann gehe ich nach draußen und latsche da herum. Das Wetter ist schön, drei Tage Hochzeit stehen mir bevor, meine beste Freundin heiratet, und jeder normale Mensch würde sich auf ein tolles Wochenende freuen. Aber meine Laune wird immer mieser. Sonne, Hochzeit, zum Kübeln. Ich verlasse das Burggelände und laufe ein wenig vor der Burg herum.
    Und dann bekomme ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Riesenschreck. Vor mir, wie aus dem Nichts, taucht plötzlich ein Tier auf. Ein Hirsch oder so etwas ist es nicht, denn das Tier hat kein Geweih. Keine zwei Meter liegen zwischen uns. Das Tier steht
einfach nur da und schaut mich mit schräggestelltem Kopf aus seinen gelben Augen an. Ich halte die Luft an. Es kommt näher, und irgendwie habe ich mit einem Mal ein sehr merkwürdiges Gefühl.
    Weil das nämlich ein Wolf ist.

3

     
    Da ich Sport wie jedes andere Fach in der Schule auch gehasst habe, befürchte ich, nicht schnell genug rennen zu können. Und wenn ich nicht schnell genug renne, dann könnte der Wolf mich einholen und mit seinen scharfen Zähnen zerfleischen. Halt, Moment! Ich hab ja gar nichts dagegen zu sterben. Aber so? Vor der Hochzeit meiner besten Freundin, und dann frisst mich ein Wolf? Soll ich als Skelett vor dem Traualtar stehen und mit klappernden Knochen die Ringe suchen? Nein, diese Hochzeit muss ich noch hinter mich bringen, dann werde ich die Gesamtsituation neu überdenken. Der Wolf fletscht die Zähne. Er sieht so aus, als würde er sich damit auf eine Verfolgungsjagd vorbereiten, aber vielleicht habe ich Glück und bin schneller. Er ist nämlich nicht so durchtrainiert, wie ich das von Wölfen eigentlich dachte, sondern eher moppelig. Trotzdem kann ich mich darauf nicht verlassen. Ich drehe mich um und rase los. Zurückzuschauen traue ich mich nicht, weil ich Angst davor habe, dass der Wolf mich verfolgt. Aber dann drehe ich mich natürlich doch um. Und bleibe stehen. Der Wolf ist weg. Von ihm ist nichts mehr zu sehen. Alles ist leer und still. Hab ich mir das nur eingebildet? Herrje, ich bilde mir nie etwas ein. Der Wolf war da! Warum ist er jetzt weg? Wölfe sind doch Raubtiere, ich wäre doch im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen für ihn gewesen. Das komische Gefühl, das ich hatte, ist auch verschwunden. Ich bin wieder ganz die Alte und gehe zur Burg zurück. Nur meine Hände sind noch schweißnass. Na ja, nur ein bisschen. Ich beschließe, niemandem von dieser merkwürdigen Begegnung zu erzählen.
    Abends sitzen wir auf der Restaurantterrasse und schieben uns Essen in den Mund; Mutti nennt es natürlich »dinieren«. Dass die Leute, die aus den einfachsten Verhältnissen stammen, immer so tun müssen, als seien sie was Besseres. Mutti hat ihr Leben lang an einer Drogeriekasse gehockt und ein weiteres Leben lang für die aufwändige Hochzeit ihrer Tochter gespart, was ja in Ordnung ist, aber dann soll sie sich trotzdem bitte nicht so aufführen, als sei sie eine Gräfin, bloß weil
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