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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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wunderhübsche Frau; Menschen mit dem Hang zu gewählten Worten würden sie
als »elfenhaft und zartgliedrig« bezeichnen. Ich natürlich nicht, obwohl diese beiden Attribute passen. Annkathrin weckt in jedem Mann Beschützerinstinkte; sogar der unverschämte Kioskbesitzer, bei dem wir immer unsere Zeitungen kaufen, ist nett zu ihr und sorgt sich um ihr Wohlergehen, während er mir immer nur alles hinpfeffert, ohne ein Wort zu sagen. Aber zu Annkathrin wird natürlich so was wie »Na, so spät noch unterwegs, junge Frau? Dass Ihnen in der Dunkelheit bloß nichts passiert! Das würde ich nicht überleben! Soll ich Sie nach Hause bringen?« gesagt.
    »Wäre Bernie doch nur Torwart oder Kanzler geworden, dann würde ich jetzt hier nicht sitzen und weinen, sondern mich auf die Hochzeit freuen. Oder ein Arzt eben, der würde mich jetzt in den Arm nehmen und mir ein Barbiturat verabreichen, damit die schlimmen Gedanken verschwinden.«
    »Ich hab’s doch immer gesagt, den Doktor Weick, den hättest du heiraten sollen. Da hättest du ausgesorgt gehabt. Wie nett der immer zu unserer ganzen Familie war. Weißt du noch, als du Keuchhusten und Masern hattest? Oder die Windpocken? Und ich meine Gürtelrose im Schritt? Wie das immer genässt hat … « »Mutti!«
    »Ist doch wahr. Keine zwei Meter konnte ich gehen, ohne vor Schmerzen zu schreien. Der Doktor Weick hat damals gesagt, das sei wie ein Biotop, eine Gürtelrose in dem Bereich. Weil da kaum Luft drankommt zwischen den Beinen. Am besten sollte ich nackt gehen, hat er gesagt. So ein Filou!«
    »Mutti, hör auf!«
    »Wenn er’s doch gesagt hat. Ein charmanter Mann. Weltoffen, mit Klasse.«
    »Ist das nicht der Arzt, der wegen Exhibitionismus vorbestraft ist?« Ich muss diese Frage einfach stellen.
    Die Antwort darauf unterstreicht Isoldes Dummheit aufs Neue: »Das hat er doch nur gemacht, weil die Frauen das wollten. Sonst würde der Herr Doktor Weick sich doch niemals vor einer Frau ausziehen.«
    »In Hagenbecks Tierpark vor der Elefantenanlage?«
    »Die Frauen wollten das.«
    »Die Frauen kannten ihn gar nicht. Sie hatten Angst vor ihm.«
    »Nein, die wollten das. Die waren nur so sprachlos, dass sie nichts gesagt, sondern nur geguckt haben.«
    »Sie haben geschrien. Das hat sogar in der Zeitung gestanden.«
    Ich spucke den Keks aus. Die feuchten Krümel fallen auf den Tisch. Das finde ich gut.
    »In der Zeitung steht viel, wenn der Tag lang ist. Die brauchen doch immer Schlagzeilen und bauschen alles auf, bloß damit auch viele Leute diese Schundblätter kaufen. Wenn es nach mir ginge, sollten Zeitungen verboten werden. Außerdem wirst du dich nie ändern, Helene. Nie. Alles hinterfragst du, alles machst du schlecht. So bist du schon immer gewesen. Der Doktor Weick ist ein solider Mann.«
    Isolde steht auf und holt von irgendwoher ein Stück Haushaltstuch. Während sie den Tisch säubert, beuge ich mich extra ein Stück nach vorn, damit sie es nicht zu einfach hat. Isolde hat nämlich Probleme mit der Bandscheibe, und vielleicht habe ich ja Glück, sie erwischt einen ungünstigen Bückwinkel, und ein Wirbel springt raus. Dann haben wir für eine Weile Ruhe vor ihr.
    »Wie geht es denn dem Doktor Weick?«, frage ich in unschuldigem Ton.
    Annkathrin pfeffert ihr Taschentuch aufs Sofa. »Er ist schon seit ungefähr zehn Jahren tot.«
    »Das weißt du auch ganz genau«, keift Isolde mich an. »Du fragst das immer, wenn du mich siehst, weil du meine Seele verletzen willst.«
    »Stimmt«, sage ich.
    »Er ist an seinem gebrochenen Herzen gestorben«, erklärt Isolde zum tausendsten Mal. »Seine Frau hat ihn verlassen,
einfach so
.« Ja, einfach so. Doktor Weick hatte drei eigene und neun uneheliche Kinder, siebenundvierzig Geliebte, er war spielsüchtig, ein
Säufer und, wie schon erwähnt, ein Exhibitionist. Außerdem ist er nicht an gebrochenem Herzen gestorben, sondern weil er in die Kanalisation fiel. Ein Teil der Hamburger Rothenbaumchaussee war aufgerissen und das Ganze natürlich mit Rotweißband abgesichert worden, aber mit ungefähr fünf Promille kann man das nicht mehr so richtig einschätzen. Und so verstarb Doktor Weick zwei Meter unter dem Asphalt in einer Sickergrube. Seiner Frau ging es danach wenigstens wieder gut. Wie es den Geliebten ging, weiß ich nicht. Ich nehme an, auch nicht so schlecht, denn sie hatten ja alle miteinander unterhaltspflichtige Kinder, und bestimmt wurde das Erbe entsprechend verteilt an die ganze Sippschaft. Ich konnte Doktor Weick
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