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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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natürlich nicht ansatzweise Alterserscheinungen zu erkennen waren. So ein Schwachsinn. Ich hab mir auch schon mehrfach mit einer Nadel in den Finger gestochen, und zwar beim Knöpfeannähen,
da kam aber kein Prinz, sondern lediglich einmal, wenigstens einmal, eine recht gefährliche Blutvergiftung, die ich leider ohne gesundheitliche Schäden überstanden habe, was an einem übereifrigen Arzt lag, der mir, ohne mich zu fragen, eine Spritze in den Arm jagte. Dabei achte ich ganz genau darauf, mich bloß nicht impfen zu lassen, aber irgendwie schaffen es diese Quacksalber doch immer, mir was Gutes zu tun.
    Na ja, man sollte die Dinge positiv sehen: Möglicherweise kommt mir auf der Fahrt ein Geisterfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit entgegen, dem ich nicht mehr ausweichen kann. Oder ich nehme einen Anhalter mit, der gefährlich aussieht und so, als würde er vor nichts haltmachen, weil er Geld für den nächsten Schuss braucht oder einfach so gern Messer benutzt. Ich nehme grundsätzlich Anhalter mit, weil ich hoffe, dass sie Mörder sind oder zumindest welche werden könnten. Aber ich hatte noch nie Glück. Die Anhalter waren einfach nur froh, dass ich sie mitgenommen habe. Zu einem meinte ich sogar mal, dass ich im Kofferraum eine große Summe Bargeld hätte, die ich aber nur über meine Leiche hergeben würde. Daraufhin hat er mich leider nicht erschossen, sondern lediglich gesagt: »Bei meiner Bank würden Sie bei diesem hohen Betrag gute Zinsen bekommen. Ich bin da nämlich gerade in der Ausbildung. Soll ich Ihnen mal ein unverbindliches Angebot zukommen lassen?«
    So ist das eben bei mir. Ich habe einfach kein Glück mit dem Tod. Irgendwie scheint er mich nicht zu mögen. Wenn ich bloß wüsste, wie ich das ändern könnte.
    Seit wann ich meine schlechte Laune bewusst einsetze, weiß ich ganz genau: Da war ich acht Jahre alt und auf Klassenfahrt in Waldmichelbach im Odenwald. In der Jugendherberge dort gab es keine Einzelzimmer, was ich persönlich besser gefunden hätte, sondern Schlafsäle, in denen zehn Mädchen zusammengepfercht wie Vieh übernachten mussten. Und ach, was fanden sie das alle witzig. Und ach, war das alles aufregend, und die Jungs, und die Jungs, und die Nachtwanderung und huuuh und Gruseln, und
was weiß ich. Das wäre ja alles nicht so schlimm gewesen, schlimm war das ständige Gekicher und Herumgegackere dieser Mädchen. Alles, wirklich
alles
war lustig: die Tür zum Klo abzuschließen und den Schlüssel zu verstecken, meine Hand in eine Schüssel mit lauwarmem Wasser zu halten, während ich schlief, was zur Folge hatte, dass ich ins Bett pinkelte, Zahnpasta unter die Türklinke zu schmieren oder mein Schlafanzugsoberteil hochzuziehen und mir mit Eddingstift eine Berglandschaft auf den Rücken zu malen.
    Mädchen in diesem Alter sind die Hölle auf Erden. Sie sollten meiner Meinung nach vernichtet werden. Das Geschrei ist nicht zu ertragen. Deswegen weigere ich mich auch, diese Spezies in meinem Taxi zu transportieren. Weder alleine noch mit Familie. Schon manch ein Vater hat sich deswegen mit mir angelegt, aber da lasse ich mich auf absolut keine Diskussionen ein. Die Vorpubertät wird nicht in meinem Taxi stattfinden. Niemals. Jedenfalls habe ich damals in Waldmichelbach im Odenwald zum ersten Mal mit meiner schlechten Laune Ernst gemacht. Eines Abends habe ich mich mit bösem Gesicht vor meine Klassenkameradinnen gestellt und sie angebrüllt. Mit einer verzerrten Fratze. Ich habe ihnen gedroht, dass sie ihres Lebens nicht mehr froh würden, wenn sie nicht endlich damit aufhörten, diesen Scheiß zu machen. Ich schilderte ihnen anschaulich, wie ich sie in ungelöschten Kalk legen oder sie aus dem dreizehnten Stock eines Hochhauses stoßen würde, ich redete von glühenden Wattestäbchen, die ich ihnen in die Ohren pressen und von Bienenschwärmen, die ich auf sie loslassen würde, nachdem ich sie an einen Baum gebunden und mit Honig eingeschmiert hätte. Es hat funktioniert. Zwar war ich von diesem Augenblick an eine Außenseiterin, aber ich wurde in Ruhe gelassen. Das allerdings war schon relativ am Ende dieser unsäglichen Klassenfahrt. Davor hatte ich einiges zu erdulden. Unter anderem von dem widerlichen Herbergssohn, der mit meinen Haaren furchtbaren Schindluder getrieben hat, aber daran möchte ich jetzt lieber nicht denken.
    Eines habe ich festgestellt im Laufe der Jahre: Wer schlechte Laune
hat, wird ernster genommen als diejenigen, die immer mit einem Strahlen im Gesicht
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