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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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durchs Leben gehen, die, denen es nichts ausmacht, von Jugendlichen in der U-Bahn ausgeraubt zu werden, die, die es als Schicksal hinnehmen, wenn sich Leute an der Kasse vordrängeln. Schlägt man solche Drängler oder schnauzt sie zumindest kräftig an, zucken sie zusammen oder krümmen sich vor Schmerz, und man hat seine Ruhe. Ich mache das immer so. Gut, manchmal erwischt es 88 -jährige Frauen, die halbblind sind und einfach nicht wissen, ob ich vor ihnen dran bin oder nicht, und die fahren dann ganz schön zusammen, wenn ich »Schon mal das Wort Warteschlange gehört?« brülle, aber das kann ich leider auch nicht ändern. Alte Leute erleben sowieso nicht mehr allzu viel, sie sollten dankbar sein, wenn sie mal von jemandem angesprochen werden.
    Mit schlechter Laune bekomme ich immer einen Parkplatz, weil andere Suchende denken, ich könnte ihr Auto zu Schrott fahren, wenn sie mit mir diskutieren, ich muss beim Arzt nie länger als zwei Minuten warten, weil ich mit meiner Aura die Atmosphäre im Wartezimmer vergifte, verheulte Kinder schenken mir zitternd die Süßigkeiten, die sie sich eben noch am Quengelwarenständer von ihren entnervten Müttern ertrotzt haben, und Obdachlose drücken mir die zu verkaufende Zeitung in die Hand, ohne auch nur ansatzweise zu jammern oder einen Euro zu fordern. Man kommt gut durchs Leben mit einer missgelaunten Grundhaltung und dem entsprechenden Gesichtsausdruck.
    Ich bin seit jeher der Meinung, dass bei anderen Leuten weder die inneren Werte zählen noch das Aussehen. Ich halte das für halbseidenen Mumpitz. Mein Aussehen ist mir auch total egal. Ich bin eins zweiundsiebzig groß, meine Haare sind dunkelbraun oder braun, was weiß ich, eine Frisur interessiert mich nicht, deswegen hängen sie einfach so runter. Von teurer Kosmetik halte ich genauso wenig wie von schicken Klamotten. Ich trage grundsätzlich Jeans und Pullover und irgendwelche Schuhe, die gerade so herumstehen. Manche Leute finden mich interessant, weil ich
hellblaue Augen habe, aber auch das ist mir egal, weil ich sowieso immer denke, dass die das nur sagen, weil sie irgendeine Gefälligkeit von mir erwarten, aber diese Hoffnung werde ich niemandem erfüllen.
    Mir ist nicht wirklich viel wichtig. Aber was mir wichtig ist: Man soll etwas sagen,
wenn
man etwas zu sagen hat, und ansonsten die
Klappe halten
. Lange Gespräche finde ich genauso überflüssig wie kurze Gespräche. Ich unterhalte mich manchmal in Grunzlauten, weil das alles und nichts bedeuten kann. Ich gebe zu, dass ich nicht viele Freunde habe. Eigentlich habe ich gar keine Freunde, sondern nur eine Freundin, nämlich Annkathrin. Sie weiß mich einfach zu nehmen, und sie war damals auf der Klassenfahrt die Einzige, die noch zu mir gehalten hat. Annkathrin hat nur einen Fehler, sie redet wie ein Wasserfall und meint immer: »Ich muss ja für uns beide sprechen.« Aber sonst ist sie okay, ehrlich, auch wenn ich es nie verstehen werde, warum sie Bernie heiraten wird.
    Genug davon. Ich muss packen.
    Während ich in meinem Schlafzimmer stehe und alle, wirklich alle Klamotten aus dem Schrank ziehe, die ich besitze, werde ich schon wieder sauer. Diese Hochzeit geht mir auf die Nerven. Ich könnte den Organisten und den Pfarrer mit seinem gütigen Blick jetzt schon um die Ecke bringen. Wenn der Pfaffe mich anfasst, kriegt er was auf die Zwölf, auch wenn er mir nur gütig den Arm streichelt oder mir eine Oblate geben will.
    Schon wieder Telefon.
    Annkathrin. »Helene, es ist was ganz Schreckliches passiert!«
    »Mmpff.« Bestimmt ist ihr ein Fingernagel abgebrochen, oder sie hat festgestellt, dass das Hochzeitskleid, in dem sie aussieht wie ein Baiser, doch Scheiße ist, womit sie recht hat. Annkathrin trägt natürlich reine Seide mit Schleppe und Schleier, und selbstverständlich wird sie auch noch Blumen in ihre Locken flechten, was mit Sicherheit einen Niesreiz bei mir auslösen wird, weil ich nämlich den Geruch von Blumen genauso wenig ertragen kann wie den Geruch von Parfüm.
    »Ich habe plötzlich solche Angst!«, schreit Annkathrin. »Vielleicht ist das alles zu schnell gegangen, und ich sollte noch warten. Ich überlege, die Hochzeit zu verschieben! Jetzt sag doch auch mal was!«
    Nicht der Pfarrer, sondern Annkathrin kriegt was auf die Zwölf. Seit Monaten geht es nur um diese verdammte Hochzeit, ich hab nachts schon Albträume davon gehabt, und jetzt will sie alles verschieben, und in ein paar Wochen geht der ganze Quatsch von vorne los. Nicht
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