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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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Familie auf dem Gewissen zu haben?« Er schwitzte schon vor Erregung oder Unverständnis.
    »Ich hätte sie ja nicht auf dem Gewissen«, war meine Antwort. »Es wäre ja die Schuld der Familie. Nicht meine.«
    Herr Christiansen sprang auf und stampfte mit dem Fuß auf. »Es wäre Ihnen also egal?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Antworten Sie mir bitte!«
    »Keine Ahnung. Ich müsste es ausprobieren. Soll ich?«
    »Nein!«, brüllte Herr Christiansen. »Natürlich nicht.«
    »Sind wir fertig?«
    »Ja, ja, wir sind fertig. Ich komme mit Ihnen einfach nicht weiter.«
    »Auch das ist nicht meine Schuld«, sagte ich. »Sondern Ihre. Wenn Sie als Therapeut so unfähig sind, sollten Sie sich überlegen umzusatteln.«
    Ein waidwunder Blick war die Folge. Ich hatte ihn empfindlich getroffen. Aber auch das war nicht meine Schuld.
    Jedenfalls trug Herr Christiansen immer so ein widerliches blumiges Aftershave, das mich zum Niesen brachte. Ich kann Blumengeruch nun mal nicht ausstehen. Das Niesen war meine einzige emotionale Regung auf ihn, und ich glaube, mittlerweile ist er kein Therapeut mehr. Ich bin irgendwann mal an seiner Praxis vorbeigefahren, und es hing kein Schild mehr am Hauseingang. Vielleicht hat er aber auch eine siebenköpfige Familie umgenietet und kann damit nicht umgehen.
    »Der Pfarrer hat gerade noch mal angerufen. Er wollte auf einem Feldweg wenden und ist dabei in einen Graben gerutscht«, erzählt der herbeieilende Hansemann der Hochzeitsgesellschaft. »Jetzt ist er aber gleich da. Er wartet nur noch auf seinen Sohn, der ihn mit einem Traktor rauszieht. Das dauert aber nicht lange. Der Sohn muss nur erst mit dem Zug nach Frankfurt fahren, um den Traktor dort abzuholen, da war was mit dem Motor. Und dann fährt er mit dem Traktor hierher und holt den Vater und bringt ihn dann zu uns auf die Burg. Das geht schnell.«
    Bernie, der einen viel zu engen nachtblauen Anzug mit einem
Maiglöckchenstrauß im Revers trägt, ruft: »Ei, dann kinne ma in de Zwischezeid joo noch ebbes trinke!«, was von seinen Kumpanen mit »Jooo, allemool!« gutgeheißen wird.
    Ich rechne kurz aus, wann die Trauung vollzogen werden kann, wenn man Hansemanns Erzählungen Glauben schenken darf, und komme zu dem Ergebnis, dass Annkathrin und alle anderen noch bis Samstagnachmittag hier stehen werden. Und weil Annkathrin so unglücklich aussieht mit ihren Wicken im Haar und ihrem Baiserkleid, fahre ich mit dem Taxi los und suche den Pfarrer, den ich vorher auf seinem Handy anrufe. Der arme Mann kommt noch nicht mal alleine aus seinem Auto, das auf der Seite liegt. Er ist rheumakrank und jede Bewegung für ihn eine Qual. Auf der Fahrt zurück zur Burg wundere ich mich über meinen Einsatz. So kenne ich mich gar nicht. Im Normalfall wäre ich nicht ums Verrecken losgefahren, sondern hätte gewartet, bis jemand anderes sich anbietet. Und ich muss nicht niesen. Obwohl hier überall Blumen blühen. Bin ich womöglich nicht mehr allergisch? Das darf ja wohl nicht wahr sein. Ich fühle mich unwohl ohne Allergie. Ich fühle mich sowieso merkwürdig. Irgendwas ist los. Irgendwas stimmt nicht. Nur was?
    Der Pfarrer heißt Piet Körner, tätschelt dankbar meine Hand und sagt zu mir: »Sie sind ein guter Mensch«, woraufhin
ich
fast in den Graben fahre.
     
    Der Pfarrer muss sich noch ein bisschen ausruhen, er hat große Schmerzen und legt sich auf die Wiese. Ein leises Schnarchen kurze Zeit später weckt den Verdacht, dass er eingeschlafen ist. Annkathrin meint, wir sollten ihn noch ein wenig schlummern lassen, sonst würde er die Trauung ungnädig vollziehen. Mir ist es egal. Bernie lässt Flaschen kreisen. Ich muss zugeben, dass ich Alkohol nicht wirklich gut vertrage. Mal ein Glas Wein oder auch zwei, aber dann ist Schluss mit lustig. Und am helllichten Tage wird alles nur noch katastrophaler, wenn ich trinke. Ich werde noch übellauniger, ich verwechsele Namen und werde auch teilweise
ausfallend. Natürlich nicht so wie Bernie, sondern noch viel schlimmer.
    »Trink nicht so viel, Helene, beherrsch dich wenigstens heute«, werde ich von Isolde zurechtgewiesen, die mit Argusaugen meinen Sektkonsum beobachtet.
    »Was denn?«, frage ich und nehme noch ein Glas. Wenn es doch so heiß ist.
    »Auf meinem sechzigsten Geburtstag hast du dich auch danebenbenommen, falls du dich erinnerst.«
    »Der war ja auch total Scheiiiße«, sage ich angeheitert und proste ihr zu.
    »Deine ordinäre Ausdrucksweise kannst du dir auch sparen«, redet Isolde böse
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