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Sau tot

Sau tot

Titel: Sau tot
Autoren: Kathrin Heinrichs
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des Blasens munter vor sich hin, aber nicht irgendwohin, nein, er pinkelte einem Jäger ans Bein! Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Gott sei Dank schien keiner etwas gemerkt zu haben. Der Angepieselte selbst war einer aus der Material-Liga: Stiefel, die eher nach Leder denn nach Gummi aussahen, High-Tech-Parka, Angora-Schal und Rindslederhut – die ganze Montur wahrscheinlich beheizbar. Bei dieser Ausstattung hätte man es wahrscheinlich mit einer Ladung Schrot versuchen müssen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Auch die anderen hatten sich nicht um Süffels Umtriebe gekümmert. Nur Elmar, der mich auf die Treibjagd mitgenommen hatte, machte sich beinah vor Lachen ins Hemd. Später allerdings, als die anderen Hunde interessiert an seinem Bein herumschnüffelten, war der Angepieselte ein bißchen stutzig geworden. Da war Süffel aber schon mit dem Band meiner Regenjacke beschäftigt gewesen.
    Inzwischen war ich in ein neues Waldstück hineinmarschiert »Süffel, hierher!« Noch immer keine Spur von ihm. Ich würde ihn lynchen, wenn ich ihn in die Finger bekäme. Fragte sich nur, ob das jemals passieren würde.
    Wieder ein Schuß. Offensichtlich kam die Jagd jetzt richtig in Gang.
    »Süffel, hier!« Ich stapfte weiter den Weg entlang. »Leckerchen!« Mir war es inzwischen egal, mit welchen Mitteln ich das Tier lockte. Hauptsache, es kam.
    Ein Bellen. Mein Herz hüpfte, was ihm schwerfiel, weil es in Anbetracht der Kälte nur auf Niedrigenergie arbeitete. Wieder ein Bellen. Jetzt kam ich auf Trab. Vor mir tat sich nun eine Fichtenschonung auf, deren Bäume nur knapp einen Meter hoch waren. Zügig ging ich durch den lichten Baumbestand in Richtung Gebell. Ich mußte aufpassen. Der Untergrund war glitschig. Im schlimmsten Fall machte ich mich hier noch lang. Ich erreichte eine Lichtung. Endlich konnte ich in einiger Entfernung etwas wedeln sehen. Zumindest Süffel war die gute Laune keineswegs abhanden gekommen.
    »Süffel, hier!« Ich hätte genauso gut meine verstorbene Großmutter rufen können. Nichts zu machen. Der Hund hörte einfach nicht auf mich. Wie ich aus der Entfernung bemerkte, hatte er sich zu Füßen eines Hochsitzes eingefunden. Wahrscheinlich betrachtete er das Modell als Hundehütte auf Stelzen.
    »Süffel!« Hoffentlich lief er jetzt nicht weg. Ich hatte keine Lust, meine tiefkühlgefrosteten Füße noch einen Kilometer weiterzuquälen. »Süffel, hier!«
    Der Hund hatte etwas gefunden. Etwas, das ihn mächtig aufregte. Da stand er mit wedelndem Schwanz und schaute mir mit einer Art Besitzerstolz entgegen.
    »Du solltest dich schämen«, rief ich, während ich auf ihn zustürmte. »Andere Hunde gehorchen, wenn man sie regelmäßig füttert!« Süffel war unbeeindruckt. Noch immer wedelte sein Schwanz hin und her. Womöglich hatte er ein Kaninchen erlegt und machte mir nun ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk.
    »Süffel, was hast du denn da?« Mir blieben die Worte im Halse stecken. Was da lag, war kein Kaninchen. Es war ein Mensch. Ein grüner Mensch – genaugenommen: ein Jäger. Der Hund freute sich und bellte. Ich konnte seine Begeisterung nicht teilen. Der Mann war tot. Und irgendwie gefroren.
    In der Ferne hörte ich ein Jagdsignal. Wenn mich nicht alles täuschte, dann spielten sie Sau tot.

2
    Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, daß der Mann schon länger tot war. Eine Treibjagd, mehrere Schüsse, dann ein Toter mit zerschossenem Bauch. Ist doch klar, was ich gedacht hab’! Aber dieser Mann lag schon länger da. Kalkbleich, steif gefroren und sogar eingeschneit, soweit Süffel ihn noch nicht frei geschleckt hatte. Ich durfte gar nicht daran denken. Ich hatte gerade mit zittrigen Händen per Handy die Polizei angerufen, als jemand angestapft kam. Elmar war es, an seiner Seite Georg, beide ihr Gewehr über der Schulter.
    »Bleibt stehen!« rief ich ihnen schon von weitem zu. Soviel Erfahrung hatte ich inzwischen mit Leichen. Süffel und ich hatten wahrscheinlich genug brauchbare Spuren vernichtet, da mußten sich nicht noch weitere Leute verewigen. Elmar und sein Jagdkumpel kamen bis auf drei Meter heran.
    »Da liegt ein Toter«, erklärte ich ihnen. »Ein Jäger.« Die beiden starrten mich an. Dann hielt es Georg nicht mehr aus. Er ging ein paar Schritte weiter auf den Toten zu. Unweigerlich zuckte er zusammen, als er sah, wie der Mann dort zugerichtet war. Der Bauch mußte stark geblutet haben. Jedenfalls war die Jacke zerfetzt und blutrot. Inzwischen war die ganze
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