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Sau tot

Sau tot

Titel: Sau tot
Autoren: Kathrin Heinrichs
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hörte ich das Durchdrehen der Reifen.
    »Etwas unglücklicher Untergrund«, kommentierte mein Schwiegervater. Er fand immer so treffende Umschreibungen. Schon wieder drehten die Räder durch. Dabei machte Hans das nicht ungeschickt. Dieses stetige Drehen des Lenkrads und das sachte Gasgeben machten sicher einen Sinn. Trotzdem bewegte sich der Wagen keinen Millimeter vor oder zurück.
    »Soll ich anschieben?« fragte ich mit wenig Überzeugung. Insgeheim hoffte ich auf die Antwort, Schwiegervater zöge nur geschwind die Schneeketten auf, doch konnte davon keine Rede sein. Er hatte gar keine im Auto. Daß ich anschiebe, hielt Alexas Vater indes für eine prima Idee.
    Es ist übrigens phantastisch, wenn man anschieben soll, ohne selbst irgendeinen Halt zu haben. Zum einen stand ich zwischen Graben und Schneehaufen, zum anderen hatten meine Sonntagsschühchen die Griffigkeit eines Luftballons und konkurrierten daher mit Schwiegervaters Reifen um die Wette. Folglich simulierte ich nur, ich würde den Wagen anschieben, während ich in Wahrheit an der Stoßstange hing wie ein wagemutiger Skateboardfahrer. Der Höhepunkt der Aktion war erreicht, als ich dank eines Ausrutschers ins Schleuderfeld eines Hinterrades geriet und durch den durchdrehenden Reifen wie von einer Schneekanone eingeseift wurde. Von oben bis unten mit Schneematsch eingesaut konnte dieser Sonntag nur noch besser werden. Selbst Süffel hatte bei seinem Blick durch die Rückscheibe etwas Mitleidvolles in den Augen.
    »Klappt wohl nicht so richtig«, tönte mein Schwiegervater aus dem geöffneten Fenster der Fahrertür heraus.
    »Nicht so richtig, du hast recht«, stieß ich aus der Ansammlung von Schnee hervor, die mein Gesicht getroffen hatte.
    Mein Schwiegervater bereicherte den Spaßgehalt der Situation noch, indem er die Autotür öffnete, im Sitzen ein Bein nach draußen setzte und auf diese Weise versuchte, beim Anschieben nachzuhelfen. Der Effekt war ungefähr so, wie wenn man versucht, mit bloßen Händen ein Wohnhaus wegzuschieben.
    »Hat wohl keinen Zweck«, sagte er irgendwann ärgerlich und machte unverhofft den Motor aus.
    »Und jetzt?« murmelte ich und begann, mit der rechten Hand mein Gesichtsfeld freizuschaufeln.
    »Da muß uns einer rausziehen«, knurrte mein Schwiegervater sauer, ganz so, als hätte sich der Wagen allein aufgrund meiner Anwesenheit festgefahren.
    »Rausziehen?« wiederholte ich stupide und klopfte mißmutig an meiner Jacke herum, »an wen denkst du denn da?«
    »Na, an den Bauern natürlich.«
    Der Bauer natürlich. Ich hielt einen Moment inne. Dann warf ich einen Blick auf die Reifenspuren im Matsch. Wie viel kostete solch ein Grabenschaden wohl? Unter 2000 Euro kamen wir bei den hiesigen Preisen sicher nicht weg.

6
    Der Hof, den wir nach kurzem Fußmarsch erreichten, war recht groß und ausgesprochen gut in Schuß. Aus einem Stall war das Geräusch von quiekenden Schweinen zu hören, ansonsten lagen die Gebäude in märchenhafter Ruhe im Schnee. Noch bevor wir das Wohnhaus erreicht hatten, öffnete sich die Haustür und ein älterer Mann kam heraus. Er schien über achtzig zu sein, hatte eine dicke Wolljacke an und schlurfte uns mit schlecht rasiertem Gesicht entgegen.
    »Schönen Tach auch«, grüßte mein Schwiegervater aufgeräumt. Kein Wunder bei dem Anliegen, das er in der Tasche hatte.
    Der Alte hielt seinen Kopf schief. Ganz offensichtlich war er schwerhörig.
    »Guten Tag!« brüllte ich daher mit allem, was meine Stimmbänder in der Kälte hergaben.
    Der Alte nickte griesgrämig. Immerhin schien er uns verstanden zu haben.
    »Lausiges Wetter, woll?« brüllte mein Schwiegervater gesellig »Muß sein«, brummte der Alte, mehr zu sich selbst als zu uns. »Anders geht das Kroppzeug nich’ kaputt«
    »Kroppzeug?« Ich sah meinen Schwiegervater fragend an. Wieder so eine sauerländische Vokabel. Unübersetzbar wahrscheinlich.
    »Wir haben uns festgefahren«, überging Hans Schnittler meinen Blick und brüllte wieder Richtung Bauernsenior.
    »Hinten am Hittenkamp. Ich glaube, ohne Hilfe kriegen wir den Wagen nicht raus.«
    »Festgefahr’n«, wiederholte der Bauer monoton. Ich stutzte einen Augenblick. Würde sich der Alte jetzt auf einen Trecker schwingen? Im Sauerland war nichts unmöglich. Da fuhr auch noch, wer zunächst mit einem Kran auf den Fahrersitz gehievt werden mußte.
    »Bei Festgefahr’n«, brummte der Alte nach einer kurzen Denkunterbrechung, »bei Festgefahr’n hole ich besser mal den Jungen
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