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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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später die gleiche Szene ein zweites Mal. Wie dem auch sei, ich konnte mich nicht mit ihm verständigen. Er konnte noch nicht von den Lippen lesen, und ich konnte kaum schreiben; wenn ich im Schneckentempo mühsam einen Buchstaben neben den anderen setzte, wurde er ungeduldig und versuchte die Wörter zu erraten; gelang es ihm, wartete er auf die nächsten, versuchte diese zu erraten, aber irgendwann vergaß er den Anfang und wurde noch wütender. Damals begriff ich, wozu wir so ein großes Haus hatten. Große Häuser sind dazu da, sich aus dem Weg zu gehen. Und wenn jemand taub ist, kann man sich noch leichter vor ihm verstecken, man kann direkt hinter seinem Rücken von einem Zimmer ins andere laufen – nur sacht müssen die Schritte sein, damit er nicht mit den Zehen das Beben des Bodens spürt; aber wenn man zehn Jahre alt ist, ist es nicht schwer, mit sachten, federleichten Schritten zu laufen. Ich lernte, schnell und deutlich zu schreiben, um unsere Gespräche so kurz wie möglich zu halten, und damit erwachte in mir auch die Lust zu lesen – Vater machte sich nichts aus Büchern, Mutter besaß nur ein Gebetbuch, aber in der Schule, bei den Priestern, gab es außer diesen entsetzlich langweiligen Büchern für den Gottesdienst auch ein paar interessante, aus besseren Zeiten. Als ich älter und mutiger wurde, habe ich manchmal Vaters Bekannte nach Büchern gefragt, die sie besonders schätzten, und wenn ich diese in der Bibliothek der Piaristen nicht fand, bat ich die Gäste beim nächsten Besuch darum, sie mir auszuleihen; natürlich durfte ich sie nicht im Salon damit behelligen, aber in der Diele, wenn sie hereinkamen oder das Haus wieder verließen, konnte ich mich vor sie stellen (angespannt, mit feuchten Händen); oft bekam ich vom Dienstmädchen oder von den Eltern eins auf den Deckel, aber hin und wieder hielt ich danach das ersehnte Buch in der Hand und rannte auf der Stelle in mein Zimmer, um es zu lesen. Herr Martinez, der öfter geschäftlich aus Cádiz kam und einmal auch länger bei uns blieb, versuchte Vater zu überreden, mich auf eine ausländische Schule zu schicken, aber Vater entgegnete nur: »Javier ist Maler. Der geborene Maler. Das hat er von mir. Jeder Unterricht außer dem Malunterricht ist für ihn vergeudete Zeit. Vom Geld ganz zu schweigen. Für Bücher gilt übrigens das Gleiche, verdammt. Verschwendung. So viel gutes Licht umsonst.«
    Vor allem aber wurde Vater sich selbst, seinem früheren Ich fremd, als er das Gehör verlor; seine Gewohnheiten, der Ton seiner Stimme, seine Art zu arbeiten änderten sich; er regte sich über jede Kleinigkeit auf. Gewiss, er war immer ein Choleriker gewesen, aber jetzt glich er einem in einer Falle gefangenen Wolf, der jeden beißt, der ihm in die Quere kommt, obwohl sich mit jedem Sprung und jedem Schnappen das Eisen tiefer in das Fleisch und die Knochen seiner Pfoten gräbt.

IV
    Frau mit Messer
    Die scharfen Krümmungen der hochgezogenen Brauen, unterfüttert mit blaugrünen Schatten, zeugen von Mitgefühl – wer weiß, vielleicht hat ja die Krankheit Mitleid mit dem Kranken, den sie vernichtet; doch nicht Gefühle haben sie hergeführt – sie hat eine Arbeit zu verrichten; das Haar hat sie nach hinten gerafft und mit einem Tuch zusammengebunden, die Ärmel hochgekrempelt wie eine ordentliche Dienstmagd, die das Zimmer aufräumen, überflüssiges Gerümpel beseitigen soll. Aber wozu hat sie die Brust enthüllt, die – unten notdürftig von den groben Falten des Hemdes bedeckt – den grauen Glanz eines kranken Körpers verströmt? Aus Mitleid, damit es etwas zu sehen gibt im Augenblick des größten Grauens, kurz nach dem Hieb, wenn das Messer niedergegangen ist und, ein für alle Mal, abgetrennt hat, was abzutrennen war?
    Wie leicht ist das Wegnehmen. Überall schlägt jemand jemandem etwas ab, enterbt einer, beraubt einer den anderen. In einem Menschenauflauf ist es eine Uhr, entwendet mit geschickter Bewegung; bei Gericht – die Freiheit; im Bett, in zerknüllten Laken – die Unschuld; das ist der Lauf der Welt. Die Krankheit muss daher kein Mitgefühl zeigen, sie führt gewissenhaft ihre Arbeit aus, die Teil eines großen, notwendigen Ganzen ist; ihre Muskeln kräftig von den ständigen Hieben, das Messer so oft geschärft, dass es verkürzt scheint, abgebrochen vielleicht am Widerstand einer hartnäckigen Gliedmaße oder eines krampfhaft am Körper festhaltenden Sinnes.

Anders das Opfer – Verlieren ist äußerst schwer. Schau, mit
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