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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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kommen.
    Das Auge, nicht weniger schwach als der restliche Körper, sieht nur die stärksten Kontraste: einen Lichtfleck auf der Nasenspitze dicht über dem dunklen Strich des zahnlosen Mundes. Schwarze Schatten unter den überhängenden Brauen und ringsum die hellen Kreise der Wangen und der Stirn. Das Blitzen des silbernen Löffels über der Vertiefung des Tellers, das Schmatzen, die abgemagerten Finger, die aus dem Dunkel des weiten Ärmels ragen. Und die schwarzen, von den Gelüsten vergrößerten Pupillen, umgeben vom Weiß der aufgerissenen Augen. Sich mit Leben vollfressen, bevor es aus ist.
    Ach, mit welchem Abscheu betrachten wir unsere Eltern, wenn sie sich in kahle, unersättliche Bestien verwandeln, in kaputte Mechanismen, tropfende Gefäße.
    Ach, mit welchem Unverständnis betrachten wir unsere Kinder, wenn sie in uns kahle, unersättliche Bestien sehen, kaputte Mechanismen, tropfende Gefäße. Im tiefsten Innern sind wir immer noch der ehrgeizige Junge, der mit nur einem Bündel in die große Stadt fährt; das junge hübsche Mädchen, das sich sagt: »Ach, Leben, wir werden ja sehen, wer hier wen …«



III
Javier spricht
    Gut geht es ihm dort, in Frankreich. Sie erzählen mir alles hier. Da hockt er, der Witwer, fern vom Grab seiner Frau, der Eigenbrötler, der zufriedene, alte Fuchs, der fette Dachs, der grau gewordene Auerhahn, und malt irgendwelchen Kleinkram, irgendwelchen Firlefanz, kritzelt Miniaturen auf Elfenbein; Leocadia macht ihm Essen, sorgt sich, schneidet Äpfel in Stücke, persönlich, denn vom Dienstmädchen schmeckt es ihm nicht, und danach gibt sie sich dem nächsten Besten hin, wie’s gerade kommt – an Gelegenheiten fehlt es ja nicht in Bordeaux, in letzter Zeit ist sie angeblich mit einem Deutschen zusammen, der keine Ahnung hat, dass sie nicht so weiß ist, wie es scheinen mag. Rosario, Verzeihung, das Marienkäferchen , er nennt sie nur »mein Marienkäferchen«, sitzt neben ihm, und »sie malen zusammen«. Er wirft mit einer Handbewegung etwas hin, im Übrigen nicht immer Bilder, die für Mädchen in ihrem Alter geeignet sind, auch wenn sie die Tochter eines Flittchens ist und schon so manches gesehen hat, und sie versucht es ungeschickt nachzumachen. Ein einziges Gekrakel. Krumme Linien dort, wo gerade Linien hingehören, gerade dort, wo krumme sein müssten, und vor allem langweilige Linien, langweilig, einförmig, ohne jede Anmut. Dann nimmt der Alte das nächste Blatt – ich sehe es, ich sehe es förmlich –, brummt in seinen Bart, wie er immer gebrummt hat, jedenfalls seit er taub ist, und macht mit einer Bewegung aus einem Blatt Papier einen Geldschein: eine Hexe mit Springseil, einen gehörnten alten Bock mit einer jungen Frau (ob es ihm gar nicht in den Sinn kommt, dass er sich selbst porträtiert?), einen Verurteilten, von der Garrotte erdrosselt, kurzum: eine ideale Zeichnung, für die ich sofort mehrere Käufer hätte. Und er gibt sie dieser Göre. Die blinzelt, zappelt auf dem Stuhl herum, lächelt ihm zu, streckt die kleine Schlangenzunge heraus, die sie sicher von ihrer Mutter geerbt hat, und »malt die Schatten aus«, das heißt, sie bedeckt mit ihren stumpfen Strichen die Falten der Kleider, Teile des Hintergrunds, einen Haarschopf, und der Alte sagt »heller«, »dunkler«, »heller«. Und so arbeiten sie fröhlich, in bestem Einvernehmen, und verwandeln den Geldschein in ein Gekritzel, das man höchstens noch als Tabaktütchen benutzen kann.

Francisco spricht
    Es geht mir gut hier in Frankreich, obwohl es mir schlechtgeht im Alter. Wenn die Sonne stark ist – wenn auch nicht so stark wie in Madrid –, dann sehe ich besser und kann malen. Für große Bilder habe ich nicht mehr die Kraft, ich kann ja kaum noch gehen; ein junger Mann ist hier, aus Spanien geflohen, de Brugada; er verbringt viel Zeit mit uns, macht mit mir Spaziergänge, er hat sogar gelernt, mit mir zu reden – nicht so wie früher, als wir auf Zettel schrieben, die ich jetzt schlecht lesen kann, sondern mit den Fingern, nach der Methode von Bonet. Vorgestern habe ich ihn dafür gescholten, denn er fuchtelt mit den Händen herum, als wollte er allen ringsum zeigen, dass der alte Goya nicht nur kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann, sondern auch noch taub ist, taub wie ein Stock, taub wie ein Stein, wie ein Pinsel, eine Klinke, wie ein Knäuel alter Lumpen, die von schwarzer Magie bewegt werden. Wahrscheinlich stinke ich nach Pisse, weil meine Blase krank ist, aber ich selbst merke
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