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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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Sainetes , über die er früher so gelacht hat, all die Szenen mit den schlitzohrigen Orangenverkäufern und den tapferen Majos , mit den neunmalklugen Ärzten und den schlauen Gassenjungen, die immer kriegen, was sie wollen – ach, er hatte die Lieder auswendig gelernt und trällerte sie bei der Arbeit, sogar noch nach Jahren, als er sich selbst nicht mehr hörte und furchtbar falsch sang; all das hatte er verloren, genau wie das Ausgehen, für das er sich früher immer so feinmachte, sich in schammerierte Jäckchen und goldbestickte Hosen zwängte, auf die er so stolz war (obwohl er schon lange nicht mehr die Taille eines Toreros hatte, was Mutter nie zu erwähnen versäumte) … Und dann die Noten, die er seinem geliebten Zapater schickte, die Noten der Sainetes und Seguidillas , wieviel Mühe kostete das, wieviel Lauferei zu den Läden und Ständen, um die neuesten Schlager zu bekommen! Er packte alles zusammen und brachte es zur Postkutsche nach Saragossa, und auf dem Rückweg sagte er: »Das ist mein letzter Abschied von der Musik, soll Martín seine Freude daran haben, von heute ab werde ich nicht mehr zu den Orten gehen, wo ich diese Lieder hören kann … Ich habe mir gesagt, verdammt, irgendwelche Prinzipien muss ich schließlich haben, ich muss ja schließlich, verdammt, die Würde bewahren, die einem Mann geziemt!« Und das hat er während des ganzen Rückwegs gebrummt, bis nach Hause, und abends ging er dann doch weg, mit einem seiner bestickten Majo -Jäckchen bekleidet, und lachte Tränen unter seinesgleichen. Seit er das Gehör verloren hat, hat er nie wieder eine Majo -Jacke angezogen, nicht einmal zum Scherz, als wären das die Kleider eines Toten.

Francisco spricht
    Es gibt Dinge, über die man nicht sprechen kann. Man kann nur über sie malen. Ehrlich gesagt, nicht einmal das.

Javier spricht
    Als er sich aus dem Bett wieder an die Staffelei schleppte, war er wie ein fremder Mensch. Zunächst für uns – denn kein Wort erreichte ihn. Er saß in seinem Atelier wie ein Fisch in einem dunklen, braunen, von eigentümlichen Algen bedeckten Aquarium – Leinwandrollen, Keilrahmenskelette, abgekratzte Farbe – und arbeitete ohne Pause, oft auch nachts, wodurch er noch mehr Kerzen verbrauchte als früher; seine Kleider und der ganze Fußboden waren gesprenkelt mit Farbtropfen und perlenden Wachsspuren. Um zu beweisen, dass er immer noch malen konnte, nahm er jeden Auftrag an, sogar zu den Versammlungen der Akademie ging er, um alle Gerüchte, Goya sei am Ende, zu widerlegen, die von bösartigen Stümpern und Schmierfinken verbreitet wurden, und er saß auf diesen Versammlungen und kriegte nichts mit, machte aber – so stelle ich mir das vor – einen so klugen Gesichtsausdruck, als würde er jedes Wort verstehen und intensiv darüber nachdenken. Er malte kleine, schreckliche Bilder auf Blech – eine Feuersbrunst, Schiffbrüchige auf einem nackten Felsen, Räuber, die Reisenden die Kehle aufschlitzen, Gefängnisse, Verrückte im Korridor eines Krankenhauses; ich habe bis heute ganze Szenen in Erinnerung: die angstverzerrten Gesichter, die verdrehten Hände, die verzweifelten Gesten; ich schlich mich an, so nah es ging, und beobachtete von meinem Versteck aus, hinter einer Leinwand oder einem Stuhl hervor, wie er, immer wieder keuchend und brummend, einen Schritt von dem Bild zurücktrat und sich wieder näherte, wie er das fettige, ölige Schwarz der Fesseln auftrug, die Spritzer des weißen Schaums, der über die Leichen schwappte, rotbraune, trockene Flecken – das Blut, das unter den Rädern der Kutsche im Sand versickerte. Wenn er bemerkte, dass ich ganz in der Nähe stand, wenn er mich entweder aus dem Augenwinkel sah oder das Kitzeln meines Atems auf dem Rücken seiner linken, herunterhängenden Hand spürte oder einfach das Gefühl hatte, dass jemand anwesend war, die Verdichtung der Aufmerksamkeit empfand, wie es uns allen hin und wieder geschieht, drehte er sich jäh um und jagte mich aus dem Zimmer. Manchmal trug dies die Merkmale eines Spiels: Er heulte, bellte oder knurrte bedrohlich und kitzelte mich unter den Achseln. Meistens aber wurde er wirklich böse, vor allem, als er eine Szene aus dem Irrenhaus malte – sofort verdeckte er sie mit einer Leinwand und griff nach einer Leiste oder einem Lappen, um mich zu vertreiben. Zusammen mit einem Brief schickte er das Bild später an Zapater, ich weiß nicht, was dessen Erben damit gemacht haben, und für sich malte er ein paar Jahre
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