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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
Autoren: Jacek Dehnel
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ich ihn die ganze Nacht auf dem Arm trug, statt etwas zu malen oder ein Weibsbild zu bumsen, und er, glühend heiß und müde vom Weinen, oft für eine Weile einschlief und dann wieder aufwachte. Als ich das dem König erzählte, war er so gerührt, dass er meine Hand nahm und sie lange schüttelte, und dann begann er, Geige zu spielen, was wohl bedeutete, dass der Tattergreis Mitgefühl hatte. Und weil, anders als bei den Auftritten am Hof, kein zweiter Geiger hinter dem Vorhang stand, für schwierige Passagen, und ich noch nicht taub war, habe ich einiges mitgemacht … Nun ja, jeder zeigt sein Mitgefühl auf seine Art, so gut er eben kann – ich zeigte mit meinen Meisterwerken dem lebendigen, blutenden Spanien mein Mitgefühl, der König zeigte es einem kranken Kind und seinem Vater mit seinem Gefiedel. Besser als nichts. Aber nicht nur damals stand es schlecht; während Javiers ganzer Kindheit war ich bemüht, mich nicht an ihn zu gewöhnen; ich fürchtete, er könnte enden wie seine Vorgänger oder die späteren Fehlgeburten von La Pepa: blutige Fetzen, Schmutz auf dem Laken, Abscheulichkeiten, die ich, wie viele andere, lieber nie gesehen hätte, und die mir ständig vor Augen stehen – nachts, im Schlaf, im Wachen; wenn ich einen Tropfen Wasser betrachte, der das Schwarz auf dem Elfenbeinplättchen auflöst, sehe ich nicht nur die Leichen der an den Mauern Erschossenen, nicht nur von französischen Soldaten vergewaltigte Nonnen, sondern auch diese Scheußlichkeiten, die aus La Pepa herauskamen: Krüppel, Homunkuli, die in einer Hand Platz gehabt hätten; einen mit verwachsenem Kopf, einen anderen ohne Beine, entsetzlich, entsetzlich.
    Aber einer hat überlebt, und mit dem saß ich da wie jetzt mit Rosario – ach, es waren die schönsten Momente, wenn ich sah, wie er im Begriff war, eine getreue Kopie seines Vaters zu werden, ja mehr noch, dessen, das heißt, mein Meisterwerk; wie er Pinsel, Spachteln, verschiedene Drähte und Bürsten aus dem Kästchen nahm, wie er verschiedene Pigmente betrachtete und fragte, woraus man sie macht … Aber es steckte kein Genius in ihm; ich spürte es fast von Beginn an, aber ich machte mir vor, dass noch etwas aus ihm werden wird – von wegen. Was das Schwätzen betraf, das Quatschen über Pigmente, Farben, da war er der erste; aber wenn es an die Leinwand ging, ans Papier, da zierte er sich, da wurde er plötzlich ganz schüchtern, sagte, er geniert sich, er kann das nicht und so weiter; manchmal hatte ich das Gefühl, das tut er extra, zum Trotz, und ich machte ihn zur Schnecke, knallte ihm ordentlich eine, wie man das mit Jungen so macht, und danach war es noch schlimmer. Dann wollte er gar nicht mehr mit mir malen, er wollte nicht ins Atelier kommen und wurde immer träger und mürrischer. Ich weiß nicht, von wem er das hatte, bestimmt nicht von mir. Wahrscheinlich von seiner Mutter. Ja, sie war wirklich eine mürrische, wenn auch arbeitsame Frau. Sie wusste nicht viel, also sprach sie auch nicht viel, und das ist gut so. Nur sich herausputzen, das tat sie gern. Aber tun sie das nicht alle?

Javier spricht
    Nicht, dass er mir nicht auch erlaubt hätte, so bei ihm zu sitzen. Doch, das hat er. Natürlich nur, wenn er überhaupt in Madrid war, wenn er gute Laune hatte und mir zumindest einen Hauch von Aufmerksamkeit schenkte; denn es kam ja vor, dass er den ganzen Tag malte wie ein Verrückter, wobei er, vor sich hin brummend, ein Schimpfwort ans andere reihte und dann in der Nacht weiterarbeitete, auf dem Kopf den Zylinder, an dem er einige Kerzen befestigt hatte, und zwar immer solche von bester Qualität, die ein möglichst helles, fast weißes Licht gaben; wenn er davon keine mehr hatte, schlug er Krach, weckte Mutter und die Dienstmädchen und schickte jemanden in den Laden, der dann so lange an die Tür hämmern musste, bis der Besitzer aufstand, öffnete und Herrn de Goya, dem bekannten Choleriker, Kerzen von der besten Sorte verkaufte. Aber er war ja auch oft weg – er bekam hier einen Auftrag, dort einen Auftrag, malte einen Minister in seinem Gutshaus, eine Gräfin in ihrem Palast oder ein großes Bild für eine Kirche, die er natürlich mit eigenen Augen sehen musste, um zu wissen, wie das Licht einfällt, welchen Ton der Stein, aus dem die Wände sind, in der Sonne hat, aus welcher Entfernung und in welchem Winkel man das Bild anschauen würde und welche Perspektive er daher wählen musste. Wochenlang war er oft verschwunden, egal, ob zur Arbeit oder zur
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