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Sara

Sara

Titel: Sara
Autoren: Stephen King
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sind, daß sie wie Teppiche über den Ästen von Bäumen hängen.
    Ich steckte die Spielkarte zwischen Seite 102 und 103 - eine Drehung des Zeigefingers weg von »Sie komischer kleiner Mann«, sagte Strickland , jetzt und immerdar -, rollte mich auf meine Seite, ließ den Kopf über die Bettkante hängen, um das Buch exakt dorthin zu legen, wo ich es gefunden hatte.
    Jo lag da unten zwischen den Staubflusen. Eine Spinnwebe hing von den Sprungfedern herab und liebkoste ihr Gesicht wie eine Feder. Ihr rotes Haar sah stumpf aus, aber die Augen in dem weißen Gesicht waren dunkel und wach und haßerfüllt. Als sie den Mund aufmachte, wußte ich, daß der Tod sie in den Wahnsinn getrieben hatte.
    »Gib das her«, zischte sie. »Es ist mein Staubfänger.« Sie riß mir das Buch aus der Hand, bevor ich es ihr geben konnte. Einen Augenblick berührten sich unsere Finger, und ihre waren so kalt wie Zweige nach einem Frost. Sie schlug das Buch an ihrer Stelle auf, so daß die Spielkarte herausflatterte, und legte sich Somerset Maugham über das Gesicht - ein Leichentuch aus Worten. Als sie die Hände auf dem Busen übereinanderlegte und reglos liegenblieb, fiel mir auf, daß sie das blaue Kleid trug, in dem ich sie bestattet hatte. Sie war aus dem Grab zurückgekommen, um sich unter dem Bett zu verstecken.
    Ich erwachte mit einem gedämpften Schrei und einem schmerzhaften Zusammenzucken, durch das ich beinahe vom Bett gefallen wäre. Ich hatte nicht lange geschlafen - die Tränen auf meinen Wangen waren noch feucht, und meine Lider fühlten sich so merkwürdig straff an, wie es nach anhaltendem Weinen nicht unüblich ist. Der Traum war so lebhaft gewesen, daß ich mich auf die Seite drehen und unter dem Bett nachsehen mußte, weil ich sicher war, sie würde mit dem Buch auf dem Gesicht da sein und mit ihren kalten Fingern nach mir greifen.
    Natürlich war nichts da - Träume sind nur Träume. Dennoch verbrachte ich den Rest der Nacht auf der Couch in meinem Arbeitszimmer. Ich schätze, es war die richtige Entscheidung, denn in dieser Nacht kamen keine Träume mehr. Nur das Nichts guten Schlafes.

Kapitel 2
    Ich litt in den zehn Jahren meiner Ehe nie an einer Schreibblockade und litt auch unmittelbar nach Johannas Tod nicht daran. Tatsächlich war mir der Zustand so wenig vertraut, daß er es sich längst ziemlich bequem gemacht hatte, bis mir klar wurde, daß irgend etwas faul war. Ich glaube, das lag daran, daß ich im Grunde meines Herzens glaubte, ein derartiger Zustand befiele nur ›literarische‹ Typen der Art, wie sie in der New York Review of Books diskutiert, demontiert und manchmal verworfen wurden.
    Meine schriftstellerische Laufbahn und meine Ehe erstreckten sich über fast genau dieselbe Zeitspanne. Die erste Fassung meines ersten Romans, Zweisamkeit , beendete ich nicht lange nachdem Jo und ich uns offiziell verlobt hatten (ich steckte ihr einen Opalring an den dritten Finger der linken Hand, hundertzehn Dollar bei Day’s Jewellers und eine ganze Ecke mehr, als ich mir damals leisten konnte … aber Johanna schien völlig von ihm begeistert zu sein), und ich beendete meinen letzten Roman, Von ganz oben, etwa einen Monat nachdem ihr Totenschein ausgestellt worden war. Das war der über den psychopathischen Killer, der Hochhäuser liebt. Er wurde im Herbst 1995 veröffentlicht. Ich habe seitdem andere Romane veröffentlicht - ein Paradoxon, das ich erklären kann -, aber ich glaube nicht, daß in irgendeiner Verlagsvorschau der absehbaren Zukunft ein Roman von Michael Noonan auftauchen wird. Jetzt weiß ich, was eine Schreibblockade ist. Ich weiß mehr darüber, als ich je wissen wollte.
    Als ich Jo zögernd die erste Fassung von Zweisamkeit zeigte, las sie es an einem Abend, in ihrem Lieblingssessel zusammengerollt; sie trug nichts als ein Höschen und ein T-Shirt mit dem Schwarzbären von Maine auf der Vorderseite und trank ein Glas Eistee nach dem anderen. Ich ging in die Garage (wir hatten zusammen mit einem anderen Paar, das finanziell auf ebenso unsicherem Boden stand wie wir, ein Haus in Bangor
gemietet … und, nein, da waren Jo und ich noch nicht verheiratet, obwohl der Opalring, soweit ich weiß, nie von ihrem Finger verschwand) werkelte ziellos herum und kam mir vor wie eine Figur in einem Cartoon des New Yorker - einer von diesen komischen Typen im Vorzimmer der Entbindungsstation. Soweit ich mich erinnere, habe ich einen Vogelhausbausatz Marke ›So einfach, daß es ein Kind zusammenbauen kann‹
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