Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sara

Sara

Titel: Sara
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
immer«, sagte ich. »Auf die Gefahr hin, anmaßend zu klingen, der Außenseiter kehrt immer wieder zu allen von uns zurück. Weil wir alle Säcke voll Knochen sind. Und der Außenseiter … Frank, der Außenseiter will das, was in dem Sack ist.«
    Er dachte darüber nach, dann trank er den Rest seines Scotchs mit einem Schluck.
    »Du hattest noch eine Frage?«
    »Ja«, sagte er. »Hast du wieder angefangen zu schreiben?«
     
    Ein paar Minuten später ging ich hinauf, sah nach Ki, putzte mir die Zähne, sah wieder nach Ki und ging ins Bett. Von dort, wo ich lag, konnte ich zum Fenster hinaus schauen und den fahlen Mond sehen, der auf den Schnee schien.
    Hast du wieder angefangen zu schreiben?
    Nein. Abgesehen von einem langen Aufsatz darüber, wie ich meine Sommerferien verbracht habe, den ich Kyra irgendwann in den kommenden Jahren vielleicht zeigen werde, kein Wort. Ich weiß, Harold ist nervös, und früher oder später werde ich ihn anrufen und ihm sagen müssen, was er schon vermutet: Die Maschine, die so lange reibungslos gelaufen ist, ist zum Stillstand gekommen. Sie ist nicht kaputt - meine Erinnerungen konnte ich ohne Atemnot und Schmerzen in der Herzgegend zu Papier bringen -, aber die Maschine ist trotzdem zum Stillstand gekommen. Es ist Benzin im Tank, die Zündkerzen schlagen Funken, und die Batterie ist voll, aber die Schreibescheibe mitten in meinem Kopf steht still. Ich habe eine Plane darüber gelegt. Sie hat mir gute Dienste geleistet, wissen Sie, und ich möchte nicht, daß sie Staub ansetzt.

    Teilweise hat es etwas damit zu tun, wie Mattie gestorben ist. Mir ist in diesem Herbst eingefallen, daß ich in mindestens zwei meiner Bücher ähnliche Todesarten beschrieben habe, und in der Unterhaltungsliteratur wimmelt es von ähnlichen Schilderungen. Hat man ein moralisches Dilemma aufgebaut und weiß nicht, wie man es lösen soll? Fühlt sich der Protagonist zu einer Frau hingezogen, die, sagen wir, viel zu jung für ihn ist? Braucht man eine schnelle Lösung? Nichts leichter als das. »Wenn die Geschichte in eine Sackgasse gerät, laß den Mann mit der Knarre auftreten.« Raymond Chandler hat das gesagt, oder etwas Ähnliches - ungefähr kommt es hin, kemo sabe .
    Mord ist die schlimmste Form von Pornographie, Mord ist ›laß mich machen, was ich will‹ ins Extreme gesteigert. Ich glaube, man sollte selbst erfundene Morde ernst nehmen; das ist vielleicht auch eine Idee, die ich letzten Sommer gehabt habe. Vielleicht kam sie mir, während Mattie in meinen Armen lag, Blut aus ihrem zerschmetterten Schädel strömte und sie blind starb und noch nach ihrer Tochter schrie, als sie diese Welt verließ. Der Gedanke, daß ich jemals einen Mord in einem meiner Bücher geschildert haben könnte, der so teuflisch gut zupaß kam, macht mich krank.
    Vielleicht wünsche ich mir auch nur, ich hätte ein bißchen mehr Zeit gehabt.
    Ich erinnere mich, wie ich Ki sagte, daß man Liebesbriefe am besten nicht aufbewahrt; gemeint, aber nicht gesagt habe ich, daß sie wiederkehren und einen heimsuchen können. Ich bin so oder so heimgesucht … aber ich werde mich nicht freiwillig selbst damit quälen, und als ich mein Buch der Träume zugeschlagen habe, habe ich es absichtlich getan. Ich glaube, ich hätte auch über diese Träume Lauge schütten können, aber davon ließ ich die Finger.
    Ich habe Dinge gesehen, die ich nie zu sehen erwartet hätte, und ich habe Dinge gefühlt, die ich niemals zu fühlen erwartet hätte - nicht zuletzt das, was ich für das Kind gefühlt habe und noch fühle, das auf demselben Flur schläft wie ich. Sie ist jetzt meine Kleine, ich bin ihr Großer, und das ist das, was zählt. Nichts anderes scheint auch nur eine halb so große Rolle zu spielen.

    Thomas Hardy, der angeblich gesagt haben soll, daß jede noch so brillant charakterisierte Figur in einem Roman nichts weiter als ein Sack voll Knochen ist, hat aufgehört, Romane zu schreiben, als er Juda der Unberühmte vollendet hatte, auf der Höhe seines erzählerischen Genies. Er hat noch rund zwanzig Jahre Gedichte geschrieben, und als ihn jemand fragte, warum er keine Belletristik mehr schrieb, antwortete er, er könne nicht begreifen, warum er sich überhaupt so lange damit herumgeschlagen hätte. Im Rückblick käme es ihm albern vor, sagte er. Sinnlos. Ich weiß genau, was er gemeint hat. In der Zeit zwischen jetzt und dem Moment, wenn der Außenseiter sich an mich erinnert und beschließt, zu mir zurückzukehren, muß es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher