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Sara Linton 01 - Tote Augen

Sara Linton 01 - Tote Augen

Titel: Sara Linton 01 - Tote Augen
Autoren: Karin Slaughter
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und das ist das Einzige, was Daddy und ich wissen wollen.«
    Sara spürte Tränen in ihren Augen brennen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie im Ärztezimmer des Grady Hospital geweint hätte, aber sie hatte keine Lust mehr zu weinen, eigentlich hatte sie keine Lust mehr, irgendetwas zu empfinden. War das denn nicht der Grund, warum sie ihre Familie, ihr Leben, das ländliche Georgia verlassen hatte und nach Atlanta gezogen war – damit sie nicht mehr dauernd daran erinnert wurde, was zuvor gewesen war?
    » Versprich mir, dass du wenigstens versuchst, nächste Woche in die Kirche zu gehen.«
    Sara murmelte etwas, das man als Versprechen interpretieren konnte. Ihre Mutter war nicht blöd, und sie wussten beide, es war höchst unwahrscheinlich, dass Sara an diesem Ostersonntag in einer Kirchenbank sitzen würde, aber Cathy bedrängte sie auch nicht.
    Sara schaute den Stapel Krankenblätter auf dem Tisch an. Sie war am Ende ihrer Schicht und musste noch ihre Berichte diktieren.
    » Mama, tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen.«
    Cathy entlockte ihr noch das Versprechen eines Anrufs nächste Woche und legte dann auf. Sara hielt ihr Handy noch für ein paar Minuten in der Hand und starrte die abgegriffenen Ziffern an. Ihr Daumen suchte die Sieben und die Fünf, sie wählte die vertraute Nummer, schickte den Anruf aber nicht ab. Dann steckte sie das Handy in die Tasche und spürte dabei den Brief.
    Der Brief. Sie betrachtete ihn als eigenständige Wesenheit.
    Normalerweise sah Sara ihre Post nach der Arbeit durch, damit sie sie nicht mit sich herumschleppen musste, aber eines Morgens hatte sie sich die Post angeschaut, bevor sie aus dem Haus ging. Kalter Schweiß war ihr ausgebrochen, als sie den Absender erkannte. Sie hatte sich den ungeöffneten Umschlag in die Tasche ihres Arztmantels gesteckt, weil sie dachte, sie würde ihn in der Mittagspause lesen. Doch die Pause ging vorüber, der Brief blieb ungeöffnet, fuhr mit ihr zurück nach Hause und am nächsten Morgen wieder in die Arbeit. Monate vergingen, und der Brief begleitete Sara überallhin, manchmal in ihrem Mantel, manchmal in ihrer Handtasche, zum Supermarkt oder zu anderen Erledigungen. Er wurde zu einem Talisman, und oft steckte sie die Hand in die Tasche und berührte ihn, nur um sich daran zu erinnern, dass er noch da war.
    Im Lauf der Zeit war der verschlossene Umschlag eselsohrig geworden, und der Poststempel des Grant County verblasste. Mit jedem Tag, der verging, wurde es für Sara schwieriger, ihn zu öffnen und zu erfahren, was die Frau, die ihren Mann umgebracht hatte, zu sagen hatte.
    » Dr. Linton?« Mary Schroder, eine der Krankenschwestern, klopfte an die Tür. Sie benutzte die vertrauten Kürzel der Notaufnahme. » Wir haben eine OBE -Frau, dreiunddreißig, schwach und fadenförmig.« Sara schaute auf das Krankenblatt, dann auf ihre Uhr. Eine dreiunddreißigjährige Frau, die bei Einlieferung ohnmächtig war, stellte ein Rätsel dar, dessen Lösung einige Zeit dauern würde. Es war fast sieben Uhr. Saras Schicht war in zehn Minuten zu Ende. » Kann Krakauer sie übernehmen?«
    » Krakauer hat sie bereits übernommen«, entgegnete Mary. » Er hat ein komplettes Stoffwechselprofil angeordnet und ist dann mit der neuen Tussi Kaffee trinken gegangen.« Die Sache bereitete ihr offensichtlich Kopfzerbrechen, denn sie fügte hinzu: » Die Patientin ist Polizistin.«
    Mary war mit einem Polizisten verheiratet, was kaum schockierte, wenn man sich überlegte, dass sie seit fast zwanzig Jahren in der Notaufnahme des Grady Hospital arbeitete. Doch auch ohne diesen Hintergrund verstand es sich in jedem Krankenhaus der Welt von selbst, dass Polizisten und andere Gesetzeshüter die beste und schnellste Behandlung bekamen. Nur Otto Krakauer war das offensichtlich nicht bewusst.
    Sara ließ sich erweichen. » Wie lange war sie ohnmächtig?«
    » Sie sagt, ungefähr eine Minute.« Mary schüttelte den Kopf, denn Patienten waren, wenn es um ihre Gesundheit ging, selten die Aufrichtigsten. » Sie sieht nicht gut aus.«
    Dieser letzte Satz war es, der Sara aus ihrem Sessel trieb. Grady war das einzige Unfallzentrum in der Region und auch eines der wenigen noch verbliebenen öffentlichen Krankenhäuser in Georgia. Die Schwestern und Pfleger im Grady sahen fast täglich Opfer von Autounfällen und Schießereien, Drogen-Überdosen und von so ziemlich jedem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie hatten ein geübtes Auge für die Entdeckung von
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