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Sara Linton 01 - Tote Augen

Sara Linton 01 - Tote Augen

Titel: Sara Linton 01 - Tote Augen
Autoren: Karin Slaughter
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konnte man ihr auf jeden Fall nicht vorwerfen. Faith war unfähig gewesen, ihr irgendetwas zu sagen, als man sie in die Notaufnahme brachte, aber Will Trent hatte man über Nacht zur Beobachtung hierbehalten. Das Küchenmesser hatte alle wichtigen Arterien verfehlt, seine Sehnen waren jedoch eine andere Geschichte. Er hatte monatelange Physiotherapie vor sich, bis die volle Bewegungsfreiheit seiner Arme wiederhergestellt sein würde. Trotzdem war Sara am nächsten Morgen in sein Zimmer gegangen, in der vollen Absicht, ihn nach Informationen auszuhorchen. Er hatte sich ihr gegenüber völlig verändert verhalten, zog immer wieder die Bettdecke hoch und klemmte sie sich schließlich auf eine merkwürdig schamhafte Art unters Kinn, als hätte Sara noch nie eine Männerbrust gesehen.
    Wenige Minuten später war Wills Frau gekommen, und Sara hatte sofort erkannt, dass diese verlegenen Augenblicke mit Will Trent auf ihrer Couch nur ein Produkt ihrer Fantasie gewesen waren. Angie Trent war eindrucksvoll und sexy auf diese gefährliche Art, die Männer zu Extremen treibt. Als Sara neben ihr stand, fand sie sich minimal weniger interessant als die Krankenhaustapete. Sie hatte sich entschuldigt und war gegangen, sobald die Höflichkeit es erlaubte. Männer, die Frauen wie Angie Trent mochten, mochten Frauen wie Sara nicht.
    Die Erkenntnis erleichterte sie, und sie war nur ein wenig enttäuscht. Zu denken, dass ein Mann sie attraktiv fand, war schön gewesen. Nicht dass sie irgendetwas dafür tun würde. Sara würde nie mehr fähig sein, einem anderen Menschen ihr Herz zu schenken, wie sie es bei Jeffrey getan hatte. Das hieß nicht, dass sie unfähig war zur Liebe; sie war einfach unfähig, diese Art der Hingabe zu wiederholen.
    » Hey.« Krakauer verließ das Ärztezimmer, als sie eintrat. » Feierabend?«
    » Ja«, antwortete Sara, aber der Arzt eilte bereits über den Gang, mit stur geradeaus gerichtetem Blick versuchte er, die Patienten zu ignorieren, die hinter ihm herriefen.
    Sie ging zu ihrem Spind und drehte die Scheibe des Nummernschlosses, holte ihre Handtasche heraus und stellte sie auf die Bank hinter sich. Der Reißverschluss stand offen. Zwischen Brieftasche und Schlüsselbund sah sie eine Ecke des Briefs herauslugen.
    Der Brief. Die Erklärung. Die Rechtfertigung. Das Bitten um Vergebung. Das Wegschieben der Schuld.
    Was konnte eine Frau, die ganz allein schuld war an Jeffreys Tod, zu sagen haben?
    Sara zog den Umschlag heraus. Sie rieb ihn zwischen den Fingern. Sie war allein im Raum. Sie war allein mit ihren Gedanken. Allein mit dieser Schmähschrift. Dem Geschwafel. Den kindischen Rechtfertigungen.
    Was konnte man sagen? Lena Adams hatte für Jeffrey gearbeitet. Sie war eine seiner Detectives in der Polizeieinheit des Grant County gewesen. Er hatte sie angeschmachtet, er hatte sie aus Schwierigkeiten herausgehauen und ihre Fehler korrigiert, und das über zehn Jahre lang. Als Gegenleistung hatte sie sein Leben in Gefahr gebracht, hatte ihn dazu verleitet, sich mit Männern anzulegen, die zum Vergnügen töteten. Lena hatte die Bombe nicht gebaut oder auch nur davon gewusst. Es gab kein Gericht, das sie für ihre Taten verurteilen würde, aber Sara wusste – wusste es in der Tiefe ihres Herzens –, dass Lena verantwortlich war für Jeffreys Tod. Lena war es gewesen, die Jeffrey auf die Spur der Männer gesetzt hatte, die ihn ermordeten. Wie gewöhnlich hatte Jeffrey Lena beschützt, und das hatte ihn das Leben gekostet.
    Und deshalb war Lena so schuldig wie der Mann, der die Bombe gebaut hatte. Was Sara anging, sogar noch schuldiger, weil sie wusste, dass Lena sich keine Gewissensbisse mehr machte. Sie wusste, es gab keine Anklage, die man gegen sie vorbringen konnte, keine Strafe, zu der man sie verurteilen konnte. Man würde Lena keine Fingerabdrücke abnehmen oder sie demütigen, indem man sie fotografierte oder bei der Durchsuchung zwang, sich auszuziehen. Man würde sie in keine Einzelzelle stecken, weil die Insassen die Polizistin töten würden, die zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Sie würde keine Nadel in ihrem Arm spüren. Sie würde nicht hinausschauen in den Beobachterraum der Todeszelle im Staatsgefängnis und Sara dort sitzen sehen, die darauf wartete, dass Lena Adams endlich für ihre Verbrechen starb.
    Sie war mit kaltblütigem Mord durchgekommen, und sie würde nie dafür bestraft werden.
    Sara riss eine Ecke des Umschlags auf und schob den Finger unter die Kante, um ihn zu
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