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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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was sie mit den Geisteskranken machten, wenn sie sie erst einmal in den Anstalten hatten, und er hing an Bertha. Wenn er mit dem Kutter draußen auf See war, hatte er immer Angst, bei der Rückkehr Bertha nicht mehr vorzufinden. Übrigens hatte er den Eindruck gehabt, daß sie ihn mit der Drohung, Bertha in eine Anstalt zu bringen, erpressen wollten. Sie wollten, daß er sich ruhig verhielte. Sie gebrauchten die arme Bertha als Waffe gegen die Partei.
    Mach mir den Proviant zurecht, sagte er, ich fahre nachher, und er sah ihr freundliches Eachen, ihr immerwährendes und fatales Eachen auf ihrem hübschen, noch immer jungen Gesicht, während er wieder ins Haus hineinging. Er setzte sich auf die Bank am Ofen und zündete sich seine Pfeife an.
    Er mußte sich jetzt einfach entscheiden, ob er den Treff mit dem Instrukteur einhalten würde. Es war drei Uhr nachmittags, und er hatte noch eine Stunde Zeit. Das Boot war seeklar; der Junge war für drei Uhr an Bord bestellt; um vier Uhr konnten sie schon weit vor der Eotseninsel draußen sein.
    Es ging nicht um eine Stunde. Knudsen dachte schärfer. Den Instrukteur treffen, hieß sich verstricken. Die übrigen hatten das schneller begriffen als er: sie hatten sich schon gelöst. Elias hatte es ihm ganz offen ins Gesicht gesagt: hör mal, wir sprechen nicht mehr über die Partei. Es war merkwürdig zugegangen: zwei Jahre Vorbereitung auf die Illegalität, dann zwei Jahre des Zusammenhaltens, darnach Stagnation. Und nun, im Jahre 1937, da niemand mehr viel befürchtete, zogen die Anderen plötzlich die Schraube an. Man hörte von Verhaftungen in Rostock, in Wismar, in Brunshaupten, an der ganzen Küste. Sie zerbrachen das Holz, als es mürbe geworden war. Sie bereiten den Krieg vor, hatte Knudsen zu Elias gesagt. Elias hatte sich abgewendet. Die Genossen sprachen alle noch mit Knudsen, aber nicht mehr über Politik.
    Das war auch wieder günstig, denn so erfuhren die Anderen nicht, wer die Partei leitete. Sie wußten, daß es Knudsen gab, Mathiasson, Jenssen, Elias, Kröger, Bahnsen und noch einige andere. Sie alle zu verhaften, das ging nicht, in einer so kleinen Stadt wie Rerik. Die Anderen mußten sich darauf verlassen können, daß nicht mehr über die Partei gesprochen wurde. Wenn nicht mehr über sie gesprochen wurde, gab es die Partei nicht mehr.
    Sie wußten natürlich, daß es einen, wenigstens einen geben würde, der die Partei weiterführte. Knudsen war überzeugt, daß sie mit dem einen rechneten. Deshalb war es gefährlich für ihn, daß die ›Pauline‹ noch im Hafen lag, während die ganze Fischerflotte ausgelaufen war. Aber es war ungefährlich, wenn er den Instrukteur nicht traf. Nach den Regeln der Partei kannte der Instrukteur Knudsen nicht. Wenn Knudsen nicht zu dem Treff ging, konnte der Instrukteur schwarz werden vor Warten. Dann war Knudsen raus. Wenn die neuen Anweisungen des Zentralkomitees die Partei in Rerik nicht erreichten, dann gab es keine Partei in Rerik mehr. Dann gab es für Knudsen wie für alle anderen nur noch die Dorsche und die Heringe. Und Bertha. Wenn er aber hinging, so verstrickte er sich in die Maßnahmen, die die Partei traf, dachte Knudsen. Er konnte nicht hingehen und die Anweisungen der Partei dann nicht ausführen. Wenn er das wollte, brauchte er gar nicht erst hinzugehen. Jetzt bin ich der Fisch, dachte Knudsen, der Fisch vor der Angel. Ich kann anbeißen oder nicht. Kann der Fisch sich entscheiden, fragte er sich. Natürlich kann er, dachte er mit seinem alten Fischeraberglauben. Und mit seiner alten Fischerverachtung: der Fisch ist dumm. Aber auf diesen Köder habe ich mein Leben lang angebissen, entsann er sich. Und immer hat der Haken weh getan. Aber immer hat er mich in die Luft gerissen, in der man die Schreie der Fische hören konnte. Verdammt will ich sein, dachte Knudsen voller Wut, wenn ich ein stummer Fisch sein soll.
    Der Junge
    Vielleicht aber ist Vater doch ein Säufer gewesen, überlegte der Junge. Ich war fünf, als er umkam, und ich kann mich überhaupt nicht mehr an ihn erinnern, und ich kann nicht nachprüfen, was die Leute sagen. Sie haben ihn auch längst vergessen, und nur, wenn sie mich sehen, denken sie sich vielleicht manchmal: ach, das ist der Junge von Hinrich Mahlmann, dem Säufer. Möglich, daß Vater ein Säufer war, aber er fuhr doch nicht mit seinem Boot auf die offene See hinaus, weil er trank. Der Junge las schon lange nicht mehr; es schien ihm, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen dem
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