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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund
Autoren: Alfred Andersch
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mit dem Senknetz, zwei bis drei Tage lang, das Zusammensein mit dem mürrischen Fischer. Knudsen fuhr nie auf die offene See hinaus wie Vater, obwohl Vaters Kutter nicht größer gewesen war als Knudsen seiner. Aber dafür war Vater auch auf See umgekommen. Und auch deswegen muß ich raus, dachte der Junge, weil ich gehört habe, wie sie sagten, mein Vater sei wieder einmal stinkbesoffen gewesen, als er umkam. Huck Finn sein Vater war ein Säufer, deshalb mußte Huck Finn ja ausreißen, aber ich muß weg, weil mein Vater keiner war, sondern weil sie es ihm nur nachsagen, weil sie auf ihn neidisch sind, denn er ist manchmal auf die offene See hinausgefahren. Nicht einmal eine Tafel haben sie für ihn in die Kirche gehängt, eine Tafel mit seinem Namen und den Worten »In den Stiefeln gestorben« und das Geburts- und Sterbedatum, wie sie es für alle machen, die auf See geblieben sind. Ich hasse sie alle, und das ist der zweite Grund, warum ich von Rerik weg muß.
    Knudsen
    Knudsen hatte eine Wut. Um sich zu beruhigen, legte er eine Patience. Vorgestern war Brägevoldt aus Rostock bei ihm gewesen und hatte für heute nachmittag einen Instrukteur der Partei angemeldet. Knudsen hatte zu Brägevoldt gesagt: die Partei kann mich am Arsch lecken. Die Partei hätte schießen sollen, statt jetzt Instrukteure zu schicken. Aber das neue Fünfergruppensystem, hatte Brägevoldt gesagt, sehr interessant, du wirst sehen. Püttscherkram, hatte Knudsen geantwertet, in Rerik gibt es nur noch eine Einergruppe, und die bin ich. Brägevoldt: Und die übrigen? Knudsen: Schiß. Brägevoldt: Und du? Knudsen: Keine Lust. Außerdem muß ich auf den Dorsch. Brägevoldt hatte was von Schockwirkung infolge Zunahme des Terrors gesagt, die sich legen würde, und war abgeschoben, nachdem er den Treff zwischen Knudsen und dem Instrukteur festgelegt hatte.
    Während Knudsen die Karten auflegte, konnte er nachdenken. Brägevoldt oder die Partei hatten ihn in eine schwierige Lage gebracht. Die anderen Boote waren schon vorgestern ausgelaufen. Knudsen machte sich verdächtig, wenn die ›Pauline‹ noch lange im Hafen lag. Der Junge wurde auch schon ungeduldig. Ganz abgesehen vom Verdienst, der flötenging. Der schöne Dorsch. Knudsen juckte es nach Dorschen. Die Patience ging auf, und er schmiß die Karten hin.
    Er ging in das Gärtchen hinaus, das hinter dem Haus lag, einen winzigen Raum aus schon matt verdunkeltem Grün, in dem noch ein paar weiße Astern leuchteten. An seinem Ende stand ein Kaninchenstall; Knudsen hörte die Tiere rascheln. Bertha saß trotz der Kälte auf der Bank und strickte. Hol dir einen Mantel, sagte Knudsen, wenn du schon draußen sitzen mußt. Sie ging freundlich lachend ins Haus und kehrte nach ein paar Sekunden zurück, den Mantel an. Knudsen sah ihr zu, wie sie sich wieder auf die Bank setzte. Sie lächelte. Knudsen blickte auf ihren blonden Scheitel, sie war blond und sanft, eine hübsche junge Frau von vierzig Jahren. Ich muß dir einen Witz erzählen, sagte sie. Ängstlich blickte sie zu ihm auf und fragte: hörst du auch zu. Ja, ich höre zu, sagte Knudsen, während er an Brägevoldt und den Parteiauftrag dachte. In Machnow, erzählte Bertha, sah einmal ein Mann zu, wie die Irren mitten im Winter vom Sprungbrett in das Becken des Schwimmbades sprangen. Er sagte zu ihnen: aber es ist doch gar kein Wasser drin. Da riefen sie zurück: wir üben doch nur für den Sommer, während sie sich ihre blauen Flecken rieben. Warum hat sie sich gerade diesen grausamen Witz ausgesucht, dachte Knudsen, während Bertha ihn erwartungsvoll ansah. Er lächelte und sagte: Ja, ja, Bertha, ein guter Witz. Wenn ich nicht aufpasse, dachte er, werden sie auch dich zu den Irren bringen, obwohl du gar nicht irre bist. Sie hat nur einen kleinen Tick, überlegte er. Es lag ein paar Jahre zurück, daß sie begonnen hatte, diesen Witz von den Irren, die ins leere Schwimmbecken sprangen, zu erzählen. Sonst war sie freundlich und sanft, eine gute Frau. Er hatte nie herausgebracht, wann und von wem sie den durch und durch schlimmen Witz gehört hatte. Sie erzählte ihn überall, aber sie erzählte ihn seit Jahren, und nach einer Weile hatte die Stadt aufgehört, über Bertha Knudsen zu reden. Doch vor einem Jahr war einer von den Anderen zu Knudsen gekommen und hatte gesagt: Ihre Frau ist geistesgestört, wir müssen sie in eine Anstalt bringen. Mit der Hilfe von Doktor Frerking hatte Knudsen es verhindert, daß sie ihm die Frau wegnahmen. Er wußte,
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