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Sankya

Sankya

Titel: Sankya
Autoren: Zakhar Prilepin
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entfernen. Der Vater aber verschwand von der Wiese in den Wald, Sascha hörte voller Angst das Knacken der brechenden Äste; plötzlich erschien der Vater wieder, seine Beute war reich. Das Feuer flammte auf, das Geäst knackte.
    Jetzt kommt diese Wiese … Hier ist sie.
    Der Lastwagen war schließlich doch noch gekommen. Der Vater sagte zum Fahrer: »Ich werde hier übernachten.« Als sie wegfuhren, blickte Sascha aus dem Fenster des Lastwagens. Der Vater stand vom Feuer abgewandt. Sein Gesicht konnte Sascha nicht sehen.
    »Was? Was wäre gewesen, wenn du’s gesehen hättest? … Was hättest du gesehen?«
    Die Stimme war ironisch, ja erregt. Sascha mochte diese Stimme nicht und antwortete ihr nicht. Einen Moment lang zog er die Augen zusammen und versuchte sich abzulenken.
    Die verdreckte Windschutzscheibe. Der Kalender. Die abgeschlagene Sonnenblende. Das Innere des Handschuhfachs mit der abgebrochenen Klappe. Sascha legte die herausfallenden Streichhölzer zweimal zurück, dann warf er die Schachtel neben den Schalthebel. Die Bartstoppeln des Fahrers.
    Im Dorf verrottete langsam das Haus des Fahrers.
    Saschas Großvater und Großmutter lebten auf dem Dorf, die Eltern des Vaters. Er hatte sie ein Jahr lang nicht gesehen. Weder im Herbst noch im Winter konnte man ins Dorf fahren, auch im Frühjahr war es fast unmöglich – es sei denn, der Mai war trocken und warm. Es sei denn – mit einem Traktor. Selten wagte sich jemand mit einem anderen Transportmittel dorthin.
    Er wollte nicht mehr rauchen, die Zigaretten verkürzten nicht wie sonst den Weg, sondern waren wie dieser fad und geschmacklos; als das Auto über eine Rille des schmalen Weges holperte, fiel Asche auf die Hose, und der Fahrer sah mit scheelem Blick, wie Sascha leuchtende Fünkchen von sich wischte.
    »Trottel«, beschimpfte Sascha sich selbst und bedauerte die durchgebrannte Hose, die nicht zu Ende gerauchte Zigarette warf er aus dem Fenster.
    Sascha rutschte den Sitz hinunter, fast liegend streckte er die Beine und versuchte wenigstens für kurze Zeit, den von der Fahrt ermüdeten Körper zu entspannen. Eine weitere Unebenheit schleuderte Sascha zum Fahrer hin. Sascha wollte sich entschuldigen, überlegte es sich aber anders, und starrte aufrecht sitzend geradeaus.
    … Im Kopf sammelten sich ziemlich wirre und für Sascha gleichgültige Dinge. Im nächsten Moment bemerkte er verwundert dieses Gekrabbel seiner – wie er meinte – Gedanken; eine flaue Wirrnis unkontrollierbarer Bemerkungen, eine Verbindung von etwas Undeutlichem mit schon Vergessenem.
    Einsamkeit, so schien es Sascha, ist gerade deswegen unerreichbar, weil man in Wahrheit nicht mit sich selbst allein bleiben kann – unberührt von den Reflexen, die in dir jene hinterlassen haben, die an dir nur vorbeikamen, ohne besondere Beleidigung, Fehler und Verletzungen. Was sollte das für eine Einsamkeit sein, wenn der Mensch ein Gedächtnis hat – es ist immer da, streng und ruhig.
    »Was ist das für eine Einsamkeit«, überlegte Sascha, »wenn alles, alles in dir und von dir Erlebte einem Eisverkäufer gleicht, der alles verkauft hat, mit seinem Bauchladen dennoch weiterzieht, ihn dann neben sich abstellt, wenn er sich schlafen legt, kalt …« Er grinste verschmitzt über sich selbst. »Irrsinn. Was für ein Irrsinn«, sagte eine Stimme. Sascha antwortete wieder nicht, aber dieses Mal stimmte er zu.
    Das Dorf war dunkel, in vielen Häusern brannte kein Licht.
    Für Sascha gab es keinen Grund, irgendwie lebendiger zu werden, nur weil er an den Ort zurückkehrte, an dem er aufgewachsen war.
    Er hatte schon seit langem den Eindruck, es sei schwierig, bei der Rückkehr ins Dorf Freude zu empfinden, so trost- und farblos war, was sich dem Blick darbot.
    Einige Dorfbewohner, die der »Kopeke« am Straßenrand langsam entgegenkamen, blieben stehen und schauten ins Auto. Wer ist das, zu wem kommen sie? Sascha versuchte, die Herumstehenden nicht anzuschauen, um nur ja niemanden zu erkennen. Alles war fremd.
    Der Fahrer fuhr zu seinem Haus.
    »Findest du hin?« Das klang kaum wie eine Frage, eher wie eine ausdruckslos einfache Feststellung.
    »Ich finde den Weg«, sagte Sascha, der sich Mühe gab, es nicht wie eine etwa beleidigte Antwort klingen zu lassen (was ihm schlecht gelang), er kroch aus dem Auto.
    Das Geld für die Fahrt hatte Sascha schon in der Stadt gezahlt. Er streckte sich und ging auf der im Dunkel versunkenen Straße Richtung Elternhaus.
    Der Weg war verwüstet und voller
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