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Sankya

Sankya

Titel: Sankya
Autoren: Zakhar Prilepin
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versammelten sich auf dem Platz in der unerklärlichen Überzeugung, ihre armseligen Zusammenkünfte könnten das Verschwinden der verhassten Macht bewirken.
    In den Jahren, die seit dem bürgerlichen Umsturz vergangen waren, waren auch diese Demonstranten endgültig gealtert und niemand hatte mehr Angst vor ihnen.
    Freilich, als Kostenko, ehemaliger Offizier und, so sonderbar das klingen mag, Philosoph, ein kluger Kopf und eine höchst originelle Figur, vor vier Jahren begonnen hatte, diesen Haufen an verbiesterten jungen Menschen auf den Platz hinaus zu führen, verstanden die nicht immer, was sie zwischen den roten Fahnen und alten Leuten eigentlich zu suchen hatten. Innerhalb weniger Jahre waren die Jungs erwachsen und wegen ihrer dreisten Aktionen und grölenden Schlägereien bekannt geworden. Mittlerweile fand sich in Kostenkos Partei derart viel und bunt zusammengewürfeltes Jungvieh zusammen, dass man beschlossen hatte, das heutige Meeting mit einer eisernen Absperrung einzugrenzen. Damit es nicht ausbrach …
    Bisweilen schauten diese kräftigen, abgeklärten Alten voller Interesse und Hoffnung, aber auch mit leichtem Zweifel zu Sascha und Wanja hin.
    Der Abgeordnete der patriotischen Parlamentsfraktion trat auf der Tribüne gemessen von einem Fuß auf den anderen. Selbst aus der Entfernung war an seinem glatten, rosigen Gesicht zu erkennen, dass sich der Mann ausgezeichnet ernährte – das unterschied den Abgeordneten von allen neben ihm stehenden geschäftigen Graugesichtigen grundlegend.
    Der Abgeordnete trug einen schwarzen, elegant geschnittenen Mantel. Er nahm die Lammfellmütze ab – und stand vor dem Volk mit entblößtem Haupt. Einer aus seinem Fußvolk, das sich hinter dem Abgeordneten drängte, hielt die Mütze in Händen.
    Vor der Tribüne waren Transparente mit unsinnigen Sprüchen platziert, die niemanden je zu einer Tat inspirieren würden.
    Sascha kniff die Lider zusammen und las.
    Es wurde ihnen nicht gestattet, aufzutreten. Die Zeit reiche nicht, stattdessen wurden sie mit sanftem Nachdruck gebeten, nicht länger die Treppe zur Tribüne zu besetzen. Sascha, der auf der vorletzten Stufe stand, schaute von unten nach oben auf den Organisator, der sich erleichtert von Sascha wegdrehte. Der Organisator stellte äußerte Geschäftigkeit zur Schau: »Kommt, Jungs, alles klar. Ein andermal.«
    »Was ist mit Kostenko los?«, hörte Sascha im Hinuntergehen die sonore und eindringliche Stimme des Abgeordneten. Der Abgeordnete bemerkte die rote Binde mit dem aggressiven Symbol auf Saschas Arm und gab die Frage an den Organisator weiter, der sich erleichtert von Sascha abgewandt hatte.
    »Er sitzt.« In der Antwort schwang ein bissiger Unterton mit, der allerdings gleich verschwand, als der Abgeordnete gereizt erwiderte: »Dass er sitzt, weiß ich.«
    »Es heißt, er bekommt fünfzehn Jahre«, antwortete der Organisator rasch und plötzlich voller Ernst, schon jetzt mit einem gewissen Bedauern über Kostenkos Schicksal.
    Während der kurzen Augenblicke, die das Gespräch dauerte, stand Sascha reglos auf der Treppe des engen Aufgangs, er hörte ganz offenbar zu. Eine Stufe weiter unten wartete eine alte Frau, um zur Tribüne heraufzusteigen.
    »Also was ist, gehst du jetzt runter, oder nicht?«, fragte sie mürrisch.
    Sascha sprang vom Aufgang auf die Straße hinunter.
    »Ihr könnt auch unten schreien«, rief sie Sascha noch hinterher. »Für euch ist es auf der Tribüne noch zu früh …«
    Wenka, der unten auf Sascha gewartet hatte, verstand ohnehin alles und fragte nichts. Es schien ihm egal zu sein, ob sie auf die Tribüne gelassen wurden oder nicht.
    In der Tasche bewegte Wenja einige Dutzend Knallkörper hin und her. Manchmal zog er sie einzeln heraus, drehte sie vor dem Gesicht, als würde er nicht verstehen, worum es sich dabei eigentlich handelte.
    »Hast du nichts zu rauchen?«, fragte Saschka. »Ich hab dir doch gesagt …«
    »Ja?« Wenja grinste verdutzt. »Und was hast du gesagt?«
    Sie zwängten sich aus der Menge wieder heraus zu ihrer Kolonne, die schon angetreten war.
    Jana, schwarzhaarig und in eleganter kurzer Jacke, deren Kapuze und Kragen mit Pelz eingefasst waren, ging die Reihen entlang und rief Kommandos. Sie trug blaue, unten leicht ausgestellte Jeans, und sie sah bezaubernd aus.
    Sascha wusste, dass sie Kostenkos Geliebte war.
    Kostenko, ja, der saß im Gefängnis, in Untersuchungshaft, er war wegen Waffenkauf verhaftet worden, nur ein paar Maschinenpistolen – doch
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