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Sankya

Sankya

Titel: Sankya
Autoren: Zakhar Prilepin
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zuletzt Davonlaufenden erschraken beim Anblick der am Boden herumliegenden verunstalteten, bein- und kopflosen Körper.
    Trotz allem war es der Miliz offenbar gelungen, einen Teil der Kolonne des »Sojus« abzutrennen und hinter der Absperrung zu halten – Sascha sah, dass nur wenige der Jungs übriggeblieben waren, im Ganzen vielleicht zweihundert Mann. Viele verdünnisierten sich schon in die Höfe hinein, sie verstanden: Das Fest würde nicht mehr lange anhalten.
    »Die Bullen!«, wurde irgendwo gebrüllt, die Meute drängte die Straße hinauf, schmiss Mülleimer um und warf Schaufenster ein.
    Unablässig war das Klirren von zerschlagenem Glas zu hören. Die an diesem Morgen vermischten und fein zermahlenen Farben der Stadt wurden unverhofft grell.
    Journalisten huschten durch die laufende Menge mit ihren Videokameras – höchst geschäftig, und, wie es schien, glücklich über das, was vorging.
    »Hierher! Schneller!«, trieb ein Kameramann einen Menschen mit Mikrophon an.
    Sascha ging mit klarem Kopf vor, andere Gefühle als den Wunsch, zu zerstören und möglichst viel zu zertrümmern, verdrängte er.
    Auf der Straße sah er Plüschtiere herumliegen, die als Preis im zertrümmerten und umgeworfenen Spielautomaten aus Glas gedient hatten – rosa und gelb, erbärmlich, als wären sie verloren worden.
    Irgendwoher kam ein kleiner Major, der schon im Pensionsalter war, den Jungs entgegengelaufen.
    »Stehenbleiben!«, rief er, und schon seinem Schrei war anzumerken, dass er selbst absolut entsetzt war und eigentlich nicht wollte, dass irgendjemand auf ihn hörte.
    Ihm entgegen rannte Wenja, der – ohne innezuhalten – in die Luft sprang und den Major gegen die Brust trat. Der fiel um und streckte die Arme von sich.
    Sascha blieb abrupt neben dem alten Major stehen, unterdrückte sein Verlangen, ihn aufzurichten, ihm aufzuhelfen, sich sogar zu entschuldigen.
    Mit krampfartiger Bewegung griff der Major an die Pistolentasche, nicht um die Pistole herauszuziehen, sondern aus Angst, die Waffe zu verlieren.
    Er verfluchte Sascha und brüllte ihn an, und der überlegte es sich anders – anstatt dem Major zu helfen, sprang er auf dessen Mütze, die in einiger Entfernung lag.
    »Was machst du da, du?«, fragte der Major, der sich aufsetzte. Er sah ziemlich blöde aus – wie er da auf dem Asphalt saß, ohne Kappe, wirkte wie ein alter Mensch.
    »Ihr seid an allem selbst schuld!«, sagte Sascha voller Bosheit. Er wandte sich um, wollte weiterlaufen, wurde aber von Wenja am Ärmel gepackt, der ihn in die Gegenrichtung zog: »Dort sind die ›Kosmonauten‹ . Schnell, wir müssen irgendwo …«
    Sie liefen an der Aufschrift »Gaben der Natur« vorbei, auf der – wie abgebrochene Beine – drei Buchstaben weggerissenen worden waren, neben einer in schönem Zickzack zerschlagenen Auslage, stürzten schließlich in einen verpissten Hof, und waren in der Falle.
    »Scheiße, ich kenne diesen Bezirk nicht!«, sagte Wenja und grinste. Ohne Pause und nicht weniger fröhlich fügte er hinzu: »Die ›Kosmonauten‹ schlagen dort alles zu Matsch. Sie treten allen die Scheiße raus. Die haben uns über die Parallelstraße umfahren, jetzt treiben sie alle von oben nach unten, zu den Bullen …«
    Sascha suchte die Mauern ab, in der Hoffnung, einen Durchschlupf zu finden.
    »Eine Treppe«, sagte Sascha.
    Nach oben, auf ein vierstöckiges Haus führte eine Feuerleiter, zu ihr hinaufzuspringen, war allerdings nicht möglich – es war zu hoch.
    »Komm, du steigst auf meine Schultern«, schlug Wenja vor.
    Sascha blickte ihn an, grinste, fast zärtlich. Denn Wenja hatte nicht gesagt: »Los, ich steige auf deine Schultern.«
    »Und du vergräbst dich hier im Sand«, antwortete Sascha.
    »Ich werde mich blöd stellen«, fuhr Wenja fort, und gackerte dämlich herum. »Oh, Tantchen!« Er unterbrach das Lachen schlagartig, bemerkte etwas.
    Wenja lief zu einem Fenster im Erdgeschoss und trommelte gegen die Scheibe.
    »Tantchen, geh nicht weg!«
    Die Frau kehrte zum Fenster zurück, schüttelte den Kopf: »Was ist los?«
    »Sie jagen uns! Dort! Sie schlagen und jagen uns! Öffnen Sie das Fenster! Sie jagen uns!« Wenja begann wie verrückt zu gestikulieren. Offenbar hatte er sich noch nicht entschieden, wen er vorspielen sollte: Den weibischen jungen Idioten samt »Tantchen, hab Mitleid«, oder den ernsthaften jungen Burschen, der ein Problem mit dem Gesetz hat: »Frau, helfen Sie! So etwas kann jedem passieren!« Schließlich
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