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Sankya

Sankya

Titel: Sankya
Autoren: Zakhar Prilepin
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sie, seine Meute, seine Herde, seine Bande, sie waren nervös in Formation angetreten, die Gesichter hinter schwarzen Tüchern, mit schwitzender Stirn und tierischem Blick.
    Es waren schwer einzuordnende, merkwürdige junge Männer, einzeln aus dem ganzen Land zusammengeholt, durch etwas Unbekanntes miteinander verbunden, durch eine Markierung, ein Mal, das ihnen seit der Geburt anhaftete.
    Irgendwo war da auch Matwej – er war derjenige, der in Kostenkos Abwesenheit die Partei leitete. Allerdings stand Matwej heute nicht in der Kolonne, er schaute von der Seite zu.
    Jana hob das Megaphon vors Gesicht und holte mit den Armen aus. Ihre Stimme löste sich sofort in einem einheitlichen Schrei auf, zu hören war nur der erste, angestimmte, glockenhelle Buchstabe.
    Sascha stand noch neben der ersten Formation, er konnte seinen Platz nicht finden, während sich seine junge Herde schon zum Schrei geöffnet hatte – am Rand seines Blickfeldes sah er verschreckt auffliegende Tauben, den nervös zusammenzuckenden Offizier, der bei der Absperrung der Rekruten stand, die schon die Schlagstöcke in ihre saftlosen Hände nahmen. Sascha brüllte gemeinsam mit allen anderen – seine Augen waren erfüllt mit jener Leere, die den Schrei ermöglicht und seit je dem Angriff vorausgeht. Sie waren siebenhundert Menschen, und sie schrien das Wort »Revolution«.
    »Tischin!«, winkten sie ihm. »Komm hierher!«
    Er stand in der ersten Reihe, links außen, neben Wenja, dessen verkaterte Augen, die noch kürzlich verkochten Pelmeni geglichen hatten, jetzt rot und fast angebraten aussahen, als wären sie in eine glühend heiße Pfanne gelegt worden.
    »Geh weg, Oma!«, lachte Wenja.
    Neben der Kolonne stand eine Alte, und in dem Moment, als die Kolonne für einige Momente verstummte, hörte Sascha ihre Stimme, die offenbar nicht zum ersten Mal ein und dasselbe wiederholte: »Idioten! Ihr seid Provokateure! Euer Kostenko sitzt absichtlich im Gefängnis, um berühmt zu werden! Euch haben die Jidden hierher geschickt!«
    Ohne die Alte zu beachten, schritt Jana vorbei, in aller Schwärze, mit einem grellen und bloßen Gesicht, wie eine offene Wunde.
    »Gottlose!«, schrie ihr die Alte ins Gesicht, doch Jana war schon weg, es war ihr herzlich egal.
    Die Großmutter inspizierte mit geschärften Äuglein die Kolonne und entdeckte Sascha.
    »Die Juden haben sie geschickt«, wiederholte sie noch einmal. »Da, du bist ein Jud! Ein Jidd und ›SSler‹ !«
    Sascha wurde von dem, der hinter ihm stand, angestoßen, die Kolonne setzte sich in Bewegung.
    »Re-vo-lu-ti-on« wummerte und vibrierte es auf dem ganzen Platz; es überdeckte den Bass auf der Tribüne, die Gespräche der Miliz über Funk, die Stimmen der übrigen Demonstranten.
    » Sojus Sosidajuschtschich !«, »Jungs« – wurde ihnen von der Tribüne zugerufen. »Ihr seid nicht zum Schreien gekommen. Kommt schon, könnt ihr euch einmal auch normal benehmen …«
    Die Kolonne, die ihre schwarz-roten Flaggen schwenkte, bewegte sich Richtung Absperrung, vorbei an der Tribüne. Kompaktes, die Ohren mit stumpfem Schmerz erfüllendes, unglaubliches Gebrüll stand in der Luft.
    »Den Präsidenten!«, schrie Jana mit gellender Stimme.
    »In der Wolga ertränken!«, antworteten im Echo siebenhundert Kehlen.
    »Den Gouverneur!«
    »In der Wolga ertränken!«
    »Also, Herrschaften, tut denn niemand etwas …«, warf der Auftretende hilflos ein, und das hier unpassende »Herrschaften« drang bis zu Sascha; es hätte ihn wohl dazu gebracht, zu grinsen, hätte er nicht selbst mit heiserer Stimme so sehr geschrien, dass schon seine Zähne kalt wurden: »Wir hassen die Regierung!«
    Alles verfiel in den Rhythmus dieses Brüllens. Vom Schrei schwenkten die Türen der Metro auf und zu, im Takt des Schreies hetzten die grauen Jacken herum, zischten die Funkgeräte, hupten die Autos.
    »Liebe und Krieg! Liebe und Krieg!«
    »Liebe und Liebe!«, wandelte es Sascha ab, der Jana noch einmal sah, die sich plötzlich vor der Kolonne umdrehte, ihre Kapuze flog davon und fiel zu Boden.
    »Wie süß duftet diese Kapuze, und drinnen ist … ihr Kopf«, fiel Sascha ein, und er vergaß diesen unvermittelt aufblitzenden Gedanken sogleich wieder. »Wie ein Honigkuchen aus Tula …« tauchte ein weiterer Gedanke auf, wobei Sascha nicht genau verstand, was er da eigentlich dachte und wozu.
    »Ihr sprengt die Demonstration!«, schrie eine Frau, die offenbar von der Tribüne herab gelaufen kam und versuchte, Jana am Ärmel
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