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Sankya

Sankya

Titel: Sankya
Autoren: Zakhar Prilepin
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Dreck. Aus manchen Häusern wurden Abfälle, Essensreste und Spülwasser direkt in die Gräben beim Haus gekippt, die Hühner pickten auf, was sie aufpicken konnten, der Rest verrottete friedlich vor sich hin. Sascha mied die Gräben, er erkannte sie am Geruch und der widerwärtigen Weichheit der feuchten, ringsum verfaulten Erde.
    Den Weg zum Haus, das in der benachbarten Straße lag, beschloss er durch den Gemüsegarten abzukürzen. Um all dem Bedrückenden aus dem Weg zu gehen, war es außerdem besser, sich dem Haus unbemerkt, über den Hinterhof zu nähern, und sich so allmählich an Verfall und Verwahrlosung zu gewöhnen.
    Er bog in den Trampelpfad ein, die Beine rutschten im Dreck auseinander. Sascha fuchtelte mit den Armen und fluchte leise …
    Vergeblich wehrte sich Sascha gegen den Schmutz. Auf dem Weg durch den Gemüsegarten rutschte er trotzdem aus, besudelte sich, die letzten Meter bis zur Gartentür schwankte er, es war unvermeidbar, in den schwarzen Matsch zu treten.
    »Und du hast auch nicht vergessen, wie der Riegel aufgeht?«, versuchte Sascha sich aufzumuntern, zusammenzureißen. Mühsam zwängte er die Hand in einen Schlitz der Gartentür (als Kind ging das leichter – mit den feinen Pfötchen) und schob den Riegel zur Seite.
    »Nicht vergessen«, wisperte Sascha, und spielte sich selbst gekünstelte Freude vor: Ein letztes Mal gab er seiner Stimmung – wie einer Schaukel – einen Schubs, aber da war keine Freude, nichts.
    »Nicht vergessen«, wiederholte er nochmals laut. Dieser Satz gehörte schon nirgendwo mehr hin, bezog sich auf nichts, er musste einfach etwas sagen, schloss die Gartentür und bewegte sich über den Hof zwischen den beiden, vom kranken Großvater nicht mehr genutzten Scheunen und der Getreidedarre. Weiter weg befand sich der Stall, in dem die Großmutter schon ein Jahr lang keine Ziege mehr hielt, seit drei Jahren gab es keine Schweine mehr, schon vor zehn Jahren hatte man die Kuh Domanka von dort auf den letzten Weg geführt. Aus dem Stall kamen keine Gerüche von Leben oder Mist, keine zottige Seele trampelte mehr mit den Hufen, niemand schnaufte, keuchte laut oder erschrak vor Saschas Schritten. Es roch nur nach Feuchtigkeit und Schmutz.
    Sascha blickte sehnsüchtig auf das Haus: die kleinen Fenster waren dunkel. Weich und vorsichtig auftretend ging er den verfallenden Zaun entlang, neben der ziegelroten Hauswand, die auf der linken Seite dunkel aufragte, und blieb dann, warum auch immer, an der Hausecke stehen – hinter der Ecke befand sich die Haustür. Am Eingang stand eine Bank, Sascha erinnerte sich daran und wusste, dass die Großmutter immer auf der Bank saß, die weichen und müden Hände in den Schoß gelegt.
    Auf der Straße neben dem Haus stand ein Kind mit einer Gerte. Während es etwas murmelte, peitschte es mit ihr in die Lache und zischte, hüpfte von den Spritzern weg.
    Sascha machte noch einen halben Schritt.
    Ja, die Großmutter saß auf der Bank – gleichmütig und regungslos, es schien, als würde sie gar nichts sehen. Und aus dem Verhalten des Kindes, seinem Spiel, seiner Stimme war zu schließen, dass es auch nichts sah, sich an die auf der Bank sitzende Großmutter gar nicht erinnerte. Die Großmutter und das Kind befanden sich gleichsam in unterschiedlichen Sphären.
    Die Straße war leer, dunkel und voller Dreck, wie alle anderen Straßen des Dorfes. Hinter dem mit wildem Unkraut überwucherten Garten war die nachbarliche Ordnung zu erkennen, dort leuchteten einige Fenster gelb. Die Sonne ging gerade unter, war schon fast verschwunden.
    Das Kind fuchtelte mit der Gerte herum und trampelte auf der Stelle.
    Die Großmutter blickte, ohne zu blinzeln, über das Kind, über den Garten, über die Bäume hinweg.
    Das Dorf ging seinem Ende entgegen und starb aus – das war in allem zu spüren. Umgewühlt verzog es sich, verschwand – wie ein dunkles Stück Eis trieb es still erstarrt davon. Die verlassenen, aus der Erde wachsenden Scheunen entlang der Straße waren mit ihren feuchten nebeneinander verfaulenden Pfosten ganz schwarz geworden. Auf den Scheunendächern wuchs Gras und sogar dünne Bäumchen bogen sich im Wind, die sich da angesiedelt hatten, aber keinen Grund fanden, in den sie ihre Wurzeln treiben konnten – unter ihren schwachen Wurzelchen befanden sich kalte, leerstehende Gebäude; dorthin, zu den zertrümmerten Milchtöpfen und löchrigen Fässern, schlängelten sich Nattern, die schon niemanden mehr störten. Gebüsch trieb
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