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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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jährlich etwa 11 Cent für jeden Bürger der Union aus. Zum Vergleich: Alleindie Stadtgemeinde München leistet sich Kulturausgaben von 161 Millionen Euro. Es soll Leute geben, die diesen philiströsen Geiz beklagen. Das ist kurzsichtig. Je weniger sich die Brüsseler Instanzen für die Kultur interessieren, desto besser. Allen, denen an dieser Seite der menschlichen Existenz gelegen ist, den Produzenten ebenso wie dem Publikum, bleibt durch diese Wurschtigkeit die anmaßende Gängelung erspart, mit der andere Tätigkeiten zu kämpfen haben. Direktiven darüber, wie in Europa gemalt, getanzt und geschrieben werden darf, hätten uns gerade noch gefehlt.
    Auf allen anderen Gebieten aber folgt das Vorgehen der Behörde einem bewährten Muster. In irgendeinem Referat werden zuerst Anregungen und Vorschläge laut, die auf die Ausdehnung ihrer Zuständigkeiten hinauslaufen. In einem komplizierten Prozeß durch mehrere Instanzen verfestigen sich diese Einfälle, bis am Ende eine frischgebackene Direktive, Richtlinie oder Verordnung verabschiedet ist. Dabei wird darauf geachtet, daß der Vorgang möglichst wenig Aufsehen erregt. Erst wenn in der Öffentlichkeit, meist zu spät, die Störgeräusche überhandnehmen, versteht sich der Apparat zu einem taktischen Rückzug. Bis eine unsinnige Bestimmung im Papierkorb landet, können jedoch viele Jahre vergehen.
    Je abstruser diese Beispiele, desto größerer Beliebtheit erfreuen sie sich bei den Medien. Wer genauer hinschaut, wird jedoch erkennen, daß manche dieser überflüssigen Vorschriften, die das Wirken des Brüsseler Apparates diskreditieren, auf den tückischen und verborgenen Druck nationaler Einzelinteressen zurückzuführen sind. Eine bayerische Staatsregierung soll es gewesen sein, die sich für die Normierung aller Traktorensitze des Kontinents stark gemacht hat, und das ist kein Einzelfall. Die Glühbirnenverordnung wurde nicht aus Umweltgründen, sondern auf Wunsch der Leuchtmittelindustrie eingeführt. Der Regulierungswahn gedeiht also nicht nur in der Europäischen Kommission, sondern auch in den vielen Villen und Büroetagen derLobbyisten. Man schätzt ihre Zahl auf 15 000, und viele Beobachter sind der Meinung, daß ihr Einfluß den eines Abgeordneten bei weitem übertrifft.
    Genug von diesen überaus lästigen, aber kaum lebensbedrohenden Übergriffen und Schikanen, die das Bild der Europäischen Union trüben! Sie sind nichts weiter als Symptome ihrer tiefer liegenden Geburtsfehler. Doch bevor von ihnen die Rede sein soll, empfiehlt sich eine Besichtigung ihres Innenlebens.

IV
Einblicke in die Chefetagen
    Immer wieder wird bedauert, daß die Bürger der Union nur ein verhaltenes Interesse für die Einrichtungen an den Tag legen, mit denen sie aufwartet; ja, daß sie nicht einmal das Spitzenpersonal kennen, das sich in Brüssel, Straßburg und Luxemburg um ihre Belange kümmert. Niemand scheint die zahlreichen Präsidenten, Vizepräsidenten, Kommissare und Ausschußvorsitzenden zu kennen. Hier tut Aufklärung not!
    An erster Stelle ist dabei der Präsident des Europäischen Rats zu nennen. Es wäre fatal, wenn das Publikum ihn mit dem Präsidenten des Rats der Europäischen Union verwechseln würde. Es ist nämlich jener, nicht dieser Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Während sein Präsident auf jeweils zweieinhalb Jahre gewählt wird, bleibt dem Präsidenten des Rates der Europäischen Union nur eine Amtszeit von einem halben Jahr. Aber aufgepaßt! Er kann unter keinen Umständen sämtlichen Sitzungen dieses Gremiums beiwohnen, denn der Rat tagt ziemlich häufig, und zwar in zehn verschiedenen Formationen, als da vor allem sind:
    FAC , ECOFIN , JHA , COMP , ENVI , EXC , TTE und CAP ; mit Rücksicht auf das deutsche Publikum sind auch Bezeichnungen wie JI , BeSoGeKo, WBF und BJKS im Schwange, während die Franzosen JAI , EPSCO , EJC und PAC bevorzugen. Die Koordination übernimmt der GAC , auch CAG oder RAA genannt, das ist der Rat für Allgemeine Angelegenheiten, in dem die Außen- und Europaminister der Mitgliedstaaten vertreten sind, die sich allerdings auch im RAB bzw. FAC oder CRE treffen. Dort findetsich noch ein weiteres Mitglied ein, nämlich der Hohe Vertreter der Union für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, der dort zwar die Präsidentschaft inne, jedoch bedauerlicherweise kein Stimmrecht hat.
    Die Europäische Kommission, die aus siebenundzwanzig Kommissaren besteht – einem aus
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