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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Ebene als unwirksam erwiesen haben«.
    Ihre Anstrengungen sind nämlich auf »die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet«. Dagegen kann nur etwas einzuwenden haben, wer vom Todestrieb besessen ist. Es gibt in Brüssel einen eigenen Kommissar, der sich allerdings nicht nur um solche Fragen kümmert. Daß er Dalli heißt, mag ihn beflügeln, tut aber nichts zur Sache. Auch daß er Zigaretten, wie einst pornographische Bücher oder Kondome, nur noch in diskreter Verpackung und unter dem Ladentisch verkauft sehen möchte, um die sittlich gefährdeten Europäer vor sich selbst zu schützen, erinnert zwar an die Zeiten des Absolutismus, an die sexuellen Zwangsneurosen der katholischen Kirche und an die »Bückware« der hingeschiedenen DDR , verwundert aber kaum. Verblüffender ist jedoch, daß er von 650 000 Europäern spricht, die, wie er meint, Jahr für Jahr durch das Rauchen getötet werden. Das mutet wie ein statistisches Mirakel an; denn vor ein paar Jahren soll die Zahl genauso hoch gewesen sein, obgleich der Konsum des fraglichen Krautes seither drastisch gesunken ist. (Ein ähnliches Wunder hat die Kommission mit ihrer Kampagne gegen den Feinstaub vollbracht, als sie behauptete, diesem tückischen Feind fielen alljährlich 310 000 Bürger zum Opfer.) An ein generelles Verbot von Handfeuerwaffen und von Motorrädern, die bekanntlich ebenfalls die Mortalität steigern, hat die Kommission nicht gedacht. Lieber folgt sie in diesem Punkt dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika, wo man an jeder Straßenecke eine Maschinenpistole erwerben, aber keine Zigarette rauchen darf.

III
Die Marotten der Kommission und die ihrer Kritiker
    Unsere Brüsseler Stellvertreter sind unbeliebt. Vom Ministerrat bis zur Kommission, vom Europäischen Gerichtshof bis zum allerletzten Referenten der Besoldungsgruppe AST 1 läßt ihr Ansehen zu wünschen übrig. Aber woher mag dieser Undank rühren? Woher kommt dieser Widerwille? Warum nur tun die meisten Mitbewohner des Kontinents alles, um ihren Treuhändern das Leben schwerzumachen? Die Zahl dieser Spielverderber dürfte bei mehreren hundert Millionen liegen. Verwundert faßt man sich in Brüssel an den Kopf und findet keine Antwort.
    An den Einwänden der Störenfriede fällt auf, daß sie sich mit Vorliebe mit Nebensachen beschäftigen. Sie zielen eher auf die Symptome ihres Mißbehagens als auf dessen Ursachen. Dazu gehört die von den Medien geschürte Aufregung über den angeblich üppigen Aufwand für die Beamten der Union. Penibel werden die Privilegien und Vergünstigungen aufgezählt, die sie genießen. Die Generaldirektoren der höchsten Gehaltsstufe werden, wie es heißt, knapp doppelt so hoch entlohnt wie vergleichbare Beamte in Deutschland. 10 % ihrer Bezüge sind steuerfrei, ebenso wie die allfälligen Reisepauschalen, die Haushalts-, Kinder- und Erziehungsbeiträge. Wer nicht in seinem Heimatland arbeitet, erhält eine Auslandszulage von 16 %. Auch die Pensionsregelungen können sich sehen lassen. Mit spätestens 63 Jahren scheidet der normale Beamte aus dem Dienst, doch kann er auch schon mit 55 in den Vorruhestand treten. Von einem Insider aus der Kommission war zu hören, es gehe den derart Begünstigtenso gut, daß man sie schon »mit Waffengewalt dazu zwingen müßte, aus Brüssel wegzuziehen«.
    Das sind starke, vermutlich allzu starke Worte. Gehör finden sie vor allem bei allen, die denen »da oben« grundsätzlich mit einer Ranküne begegnen, die nicht von gestern ist. Sie beruht auf jahrhundertealter Erfahrung und läßt sich jederzeit leicht instrumentalisieren. Eine solche Kritik trifft nicht nur die grenzüberschreitenden Institutionen. Sobald in irgendeinem Land die Diäten der Parlamentarier oder die Bezüge der Ministerialbeamten erhöht werden sollen, ertönen dieselben neidischen Protestrufe. Kein Demagoge wird, solange er nicht selbst am Zuge ist, einen Gedanken daran verschwenden, daß die Beschäftigten jeder Administration, vom Referenten bis zum Regierungschef, überall um Zehnerpotenzen schlechter bezahlt werden als jeder x-beliebige Konzernmanager oder Investmentbanker, ganz zu schweigen von den allseits beliebten Schlagersängerinnen, Fußballprofis und Fernsehmoderatoren, denen es niemand übelnimmt, daß sie Millionen verdienen.
    Wie teuer sind unsere Brüsseler, Straßburger und Luxemburger
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