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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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bieten. Man wird in den entlegensten Ecken Europas auf Schilder stoßen, die verkünden, daß hier irgend etwas von der EU gefördert wird: der Bau einer Autobahn, einer Brücke, eines Gebäudes oder einer Forschungseinrichtung. Vor allem aber ist es die Landwirtschaft, die sich gewaltiger Subventionen erfreuen kann. Besonders die Großbetriebe werden aus dem größten Topf des Brüsseler Haushalts bedacht; für die Agrarpolitik stehen rund 59 Milliarden Euro zur Verfügung. Den zweitgrößten Platz nimmt mit 49 Milliarden die Regionalförderung mit insgesamt 455 Programmen ein. (Einen Wermutstropfen hat der Rechnungshof in diese Douceurs gemischt: Ihm zufolge sind zuletzt 36 % dieser Projekte unter falschen Voraussetzungen gefördert worden.)
    Dennoch handelt es sich insgesamt um Wohltaten, die sich sehen lassen können. Sollte man also den Brüsseler Wächtern zu den schönen Resultaten gratulieren, die sie, den eifersüchtig gehüteten »nationales Interessen« zum Trotz, auf vielen Gebieten erzielt haben? Unbedingt nötig ist das nicht; denn diese Mühe nehmen uns die europäischen Behörden gerne ab.

II
Sprachregelungen
    Bekanntlich gibt es keine Regierung, die ohne Propaganda auskäme, auch wenn dieser Begriff nicht gern gehört wird; man spricht heute lieber von »verbesserter Kommunikation«. Auch die Europäische Union läßt es daran nicht fehlen. Schon vor Jahren hat sie kräftig in Werbefilme und Internetportale investiert. Mit fünf Millionen Euro jährlich subventioniert sie den Sender Euronews und mit sechs das weithin unbekannte Radionetzwerk Euranet. Auch das Europaparlament gönnt sich einen eigenen Fernsehkanal namens Europarltv, den es sich zehn Millionen kosten läßt, obwohl er nur wenige Zuschauer hat. Vieles, was es dort zu sehen und zu hören gibt, erinnert an Hofberichterstattung. Die Selbstkritik ist nicht die starke Seite unserer Wächter.
    Die Kommission versteckt gewohnheitsmäßig die nationalen Beiträge zum EU -Haushalt in ihrem Budgetbericht, »weil Antieuropäer die Zahlen mißbrauchen könnten«. Wer zuviel darüber wissen will, gilt als Feind. Der Fédération de la Fonction Publique Européenne, einer Interessenvertretung der Beamtenschaft, die sich nach Brüsseler Brauch mit dem Akronym FFPE schmückt, geht die Geheimniskrämerei noch nicht weit genug. Sie hat unlängst in einem offenen Brief gefordert, daß die Kommission eine »mit den notwendigen Mitteln ausgestattete Spezialzelle« einrichten möge, »um auf all die schändlichen Attacken zu reagieren, die das Personal der EU zum Prügelknaben machen«. Schuld an solchen verleumderischen Angriffen seien »von antieuropäischen Lobbys gelenkte Medien«.
    Dieses ganze PR -Theater verdankt sich nicht nur der gekränktenEitelkeit der Beamtenschaft. Es dient auch dazu, einen endemischen Mangel des Integrationsprojektes zu kompensieren. Denn es ist eine schmerzliche, aber unbestreitbare Tatsache, daß bis auf den heutigen Tag eine europäische Öffentlichkeit, die diesen Namen verdienen würde, nicht existiert. In der Sphäre der Medien ist immer noch jedem Land das Hemd näher als der Rock. Auch deshalb sind die Auskünfte, die uns aus Brüssel erreichen, nur mit Vorsicht zu genießen: je dünner die Legitimität, desto dicker der Glibber der PR .
    In dieser ungemütlichen Lage wächst für die Behörde die Versuchung, die Meinungsbildung selbst in die Hand zu nehmen. Hierzu leisten, im Gegensatz zu Wahlen oder gar Abstimmungen, die allen, die an der Macht sind, eher lästig fallen, Umfragen gute Dienste, wenigstens solange ihre Ergebnisse so ausfallen, wie es dem Auftraggeber gefällt.
    »Die Lösung ist mehr Europa«, tönt es aus dem Büro der Vizepräsidentin, der die Kommunikation besonders am Herzen liegt. Sie beruft sich auf die Ergebnisse einer Umfrage, die sich Euro-Barometer nennt und in ihrem Auftrag zweimal jährlich erhoben wird. Sie sind für die Kommission sehr günstig ausgefallen. »92 Prozent stimmen der These zu, daß die Arbeitsmärkte modernisiert werden müssen und daß die Unterstützung Armer und sozial Ausgegrenzter Vorrang hat. 90 Prozent wollen eine Wirtschaft, die weniger Rohstoffe verbraucht und weniger Treibhausgase verursacht.« Ein traumhaftes Ergebnis, das sich sicher noch steigern ließe, hätte man die Leute gefragt, ob sie für Krieg oder Frieden, für Siechtum oder gute Gesundheit und für Lohndumping oder für kräftige Tarifabschlüsse eintreten möchten.
    Weniger triumphal sieht es
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