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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
Autoren: Francesc Miralles
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Begriffe wie ocurrencia – der Gedanke, der jemandem plötzlich in den Sinn kommt – ausgewählt, von denen ich niemals vermutet hätte, dass sie unübersetzbar sind.
    Zahlreiche Einträge gab es aus dem Deutschen, da die Wortbildungsmöglichkeiten hier – unter Einhaltung bestimmter Regeln – quasi unbegrenzt sind. Unter anderem Torschlusspanik , die »beklemmende Angst, die ledige Frauen beim Wettlauf mit der biologischen Uhr verspüren«.
    Nach allem, was ich gelesen hatte, schien mir das Ja panische die Sprache mit den subtilsten Nuancen zu sein, denn dort gab es Wörter wie:
    Ah-un : stillschweigende Verständigung zwischen zwei Freunden.
    Oder mein Favorit:
    Mono no aware : die Traurigkeit der Dinge.
     
    Während ich diesen Eintrag wieder und wieder studierte, wurde mir bewusst, dass mich seit einigen Minuten ein penetrantes Geräusch beim Lesen störte. Ein langsames und regelmäßiges Schaben, wie von einem Insekt, das sich seinen Weg durchs Holz gräbt.
    Ich schaltete das Radio aus, um zu horchen, woher dieser lästige Laut kam. Genau in dem Augenblick verstummte er jedoch, als hätte sich sein Verursacher ertappt gefühlt.
    Ich kehrte also zu meinem Sessel und meiner Lektüre zurück. Aber kaum hatte ich das Buch wieder zur Hand genommen, setzte das Geräusch wieder ein, nun noch erheblich lauter.
    Das kann doch kein Insekt sein, dachte ich. Zumindest keins von normaler Größe.
    Das Schaben schien von der Tür her zu kommen. Leicht beunruhigt stand ich auf. Welcher Irre würde sich hinter eine Tür setzen, um daran herumzukratzen? Die Sprache der Bantu kennt das Wort palatyj , »ein mythisches Monster, das an Türen kratzt«.
    Ob Mensch oder Monster, wer auch immer die Absicht hatte, mir Angst zu machen, war auf dem besten Weg, das zu schaffen. Jedenfalls hatte derjenige meine Schritte gehört, denn als ich an die Tür trat, wurde das Schaben noch wilder und lauter. Ich fasste mir ein Herz und riss mit einem Ruck die Tür auf, um mein Gegenüber zu erschrecken.
    Doch da war niemand. Genauer gesagt, niemand auf meiner Augenhöhe. Denn während ich verblüfft auf den leeren Treppenabsatz starrte, spürte ich, wie sich etwas Weiches an meinen Beinen vorbeischlängelte.
    Instinktiv machte ich einen Satz nach hinten und schaute an mir herunter, um einen Blick auf den Eindringling zu werfen. Es war eine Katze, die mich mit einem fröhlichen Maunzen begrüßte. Jung, aber auch nicht mehr ganz klein, mit getigertem Fell, wie Millionen von anderen streunenden Katzen eben.
    Wahrscheinlich hatte sie ein feindseligeres Auftreten von mir erwartet, denn jetzt rieb sie sich noch heftiger an meinen Beinen und streifte um mich herum.
    »Ist gut jetzt«, sagte ich zu ihr, und schob sie sanft mit dem Fuß auf den Treppenabsatz zurück.
    Schneller als ich gucken konnte, war das Tier jedoch wieder in die Wohnung geschlüpft und blickte mich fragend an. Ich schob die Abneigung, die mir Katzen schon immer verursacht hatten, beiseite, packte sie am Nackenfell und hob sie hoch. Ich vermutete, sie würde sich wehren und kratzen, aber sie beschränkte sich auf ein spitzes Miauen.
    »Und jetzt zieh Leine«, befahl ich und beförderte sie mit Schwung in den Hausflur.
    Kaum hatte sie den Boden berührt, schoss die Katze los und saß, ehe ich die Tür schließen konnte, wieder in meinem Flur. Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.
    Einen Augenblick lang dachte ich daran, mit dem Besen auf sie loszugehen, wie es mein Vater in solchen Fällen getan hätte. Vielleicht war es das Bedürfnis, mich ihm, der längst unter der Erde lag, noch einmal zu widersetzen,oder es war ein Rest Weihnachtsstimmung, jedenfalls gab ich die Jagd zunächst auf und ging stattdessen ein Tellerchen Milch holen, damit das Tier mich endlich in Ruhe ließ.
    Zunächst dachte ich, die Katze würde mir bis in die Küche folgen, aber sie zog es vor, mir vom Flur aus erwartungsvoll hinterherzuschauen.
    Ich goss einen Schluck Milch in eine Untertasse und ging vorsichtig, um nichts zu verschütten, in den Flur zurück. Doch als ich dort ankam, war die Katze verschwunden.
    Die Tür zum Treppenhaus stand noch einen Spalt offen, und so nahm ich an, sie hätte meine Wohnung wieder verlassen. Ich verfluchte die Katze, weil ich die Milch umsonst geholt hatte, stellte dann die Untertasse auf den Boden und steckte den Kopf durch die Tür, um nachzusehen, ob sie vielleicht noch im Treppenhaus saß. Aber keine Spur von ihr.
    Wahrscheinlich klappert sie die anderen
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