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Samuel Carver 02 - Survivor

Samuel Carver 02 - Survivor

Titel: Samuel Carver 02 - Survivor
Autoren: Tom Cain
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berufliches Ego wusste, dass er nichts tun oder sagen durfte. Sie brauchte den Freiraum, damit sie selbst zu einer Entscheidung kommen konnte.
    Der Zeitpunkt für dieses Gespräch war jedoch kein Zufall. Er wusste, dass Marchand sie gestern angesprochen hatte, und ihm war sofort klar gewesen, was das hieß. Carvers Rechnungen waren nicht bezahlt worden. Wenn es dabei blieb, wäre der Patient gezwungen zu gehen. Also tickte jetzt die Uhr bis zu Carvers Entlassung, und das machte eine erfolgreiche Behandlung umso dringlicher.
    Aliks hatte Mühe, sich der Unausweichlichkeit ihrer Situation zu verschließen. Schließlich kam sie zu einer Entscheidung.
    »Also gut«, sagte sie. »Ich werde es Ihnen erzählen … Ich war auf der Flucht vor einem Mann, einem Russen. Er war sehr reich, sehr mächtig.«
    »War?«, fragte Geisel.
    Aliks ignorierte die Unterbrechung und die Bedeutung seiner Frage. »Er hat seine Leute hinter mir hergeschickt, damit sie mich zurückholen. Carver … Samuel fand heraus, wo ich war, und kam mir zu Hilfe. Es war in Gstaad. Er hoffte, dass er mich gegen gewisse Informationen austauschen könnte. Der Mann, der mich entführen ließ, hatte gar nicht die Absicht, auf das Geschäft einzugehen. Seine Männer schnappten sich Samuel und …«
    Es fiel ihr offenbar schwer, den Satz zu beenden.
    »Er wurde misshandelt?«, fragte Geisel.
    »Ja. Sie haben ihn ausgezogen, ihm die Augen verbunden, die Hände gefesselt. Dann … Entschuldigen Sie …«
    Sie wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte, blinzelte ein paar Mal und räusperte sich.
    »Entschuldigung«, sagte sie noch einmal.
    »Was wollten Sie sagen?«
    Als Aliks weiterredete, klang sie ruhig und sachlich. »Sie legten ihm einen Gürtel um. Der war mit einer Fernbedienung verbunden. Wenn man auf den Knopf drückte, bekam er einen Elektroschock, einen sehr starken. Er brach zusammen und hatte keine Kontrolle mehr über sich. Ich war dabei, als sie das gemacht haben, vor meinen Füßen, um ihn zu demütigen.«
    »Wie oft?«
    »Drei oder vier Mal bestimmt, vielleicht noch öfter, nachdem ich nicht mehr dabei war.«
    »War das alles?«
    »Nein, das war erst der Anfang. Danach haben sie ihn in einen Raum gebracht und auf einem Stuhl festgeschnallt. Der Raum war weiß gestrichen, Decke, Fußboden, Wände, alles war weiß. Und es war sehr kalt darin. Sie haben ihn mit einem Lederriemen geknebelt. Sie haben ihm die Lider festgeklebt, sodass er die Augen nicht zumachen konnte, nicht einmal mehr blinzeln. Sie setzten ihm Kopfhörer auf. Dann schalteten sie ein grelles Licht ein, das ihm direkt in die Augen schien. Und durch die Kopfhörer drang Lärm, ganz laut und ohne Unterbrechung. So habe ich ihn gefunden. Fast vier Stunden lang hatte er so zugebracht …«
    »Ich verstehe …«, murmelte Geisel nachdenklich. Die Geschichte war entsetzlich, aber er versuchte, eine Reaktion, die Mitgefühl zeigte, zu unterdrücken. In dieser Situation, in seinem Behandlungszimmer, durfte er das nur als Information betrachten, die es ihm ermöglichte, eine genauere Diagnose zu erstellen. Erst am Abend, wenn er zu Hause mit einem Drink in der Hand dasaß, war es ihm gestattet, Carvers Tortur emotional zu betrachten.
    »Jetzt begreife ich die Angst, die ihn verzehrt«, fuhr er fort. »Sein Verstand hat die Folterungen ausgeblendet, aber sein Unterbewusstsein fürchtet die Wiederholung. Da ist eine Stelle in Ihrer Geschichte, die mich verwirrt. Wenn er an den Stuhl gefesselt war und sich nicht bewegen konnte, wie ist er dann entkommen?«
    »Ich habe ihn losgeschnitten«, sagte Aliks.
    »Aber da war doch dieser Mann, von dem Sie erzählt haben, und die Leute, die ihm unterstanden …«
    »Ja.«
    »Wie konnten Sie …?«
    »Ich bin nicht Ihr Patient«, sagte Aliks, »und das ist kein offizielles Verhör.«
    »Das ist richtig … Aber bei einer Frau und so vielen Männern bin ich sicher, dass es ein Akt der Selbstverteidigung war, was auch immer Sie getan haben.«
    »Ganz recht. So muss es gewesen sein.«
    Geisel nickte gedankenverloren, während er verdaute, was er soeben gehört hatte.
    »Da ist noch etwas«, sagte Aliks.
    »Ja?«
    »Ich möchte, dass Sie verstehen, was für ein Mann er war, bevor … vor alldem.«
    Einen Moment lang suchte sie nach den passenden Worten. Dabei fiel ihr der Abend in Paris ein, und sie schaute weg, blickte ins Leere und richtete ihre Aufmerksamkeit nach innen.
    »Als ich Samuel Carver zum ersten Mal begegnet bin, habe ich versucht, ihn zu töten.
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