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Samuel Carver 02 - Survivor

Samuel Carver 02 - Survivor

Titel: Samuel Carver 02 - Survivor
Autoren: Tom Cain
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andere im 12. GUMO.
    Den Arbeitern im 12. Glawnoje Uprawlenije Ministerstwo Oborony, in der Zentrale des Verteidigungsministeriums, ging es wie allen Beschäftigten in diesem einst mächtigen Staat. Ihre Löhne waren kläglich, wenn sie überhaupt ausgezahlt wurden. Ihre Lebensbedingungen wurden mit jedem Tag schlechter. In einer Zweigstelle des 12. GUMO war das Personal vor Kurzem in einen Hungerstreik getreten. Es forderte das Geld und die Zulagen, die der Staat seit Monaten schuldig blieb. Sogar die Offiziere begehrten schon auf, weil sie sich ohne Zweitbeschäftigung nicht mehr über Wasser halten könnten.
    Die Unzufriedenheit war aus einem sehr einfachen Grund von großer Bedeutung. Das 12. GUMO war für die Verwaltung, Lagerung, Bewachung und Sicherheit von Russlands Kernwaffen verantwortlich. Wenn dessen Beschäftigte in Wut gerieten, konnten sie ernsthafte Probleme verursachen. Und bei Lew Jussow war Wut an der Tagesordnung.
    Nach einem Leben im Dienst des Vaterlands war er kaum mehr als eine bessere Archivkraft, saß hinter einem Schalter in einem Provinzdepot und prüfte ein- und ausgehende Papiere, nahm Befehle von Offizieren entgegen, die nicht besser dran waren als er, oder – was noch schlimmer war – von ihren aufgeblasenen Ordonnanzen. Er wusste, dass er in ihren Augen nur ein namenloser alter Kuli war, ein unwichtiger Funktionär, dessen Macht sich darin erschöpfte, dass er seine Kooperation verweigern konnte. Aber diese Macht schöpfte Jussow voll aus.
    Wehe, wenn ein Antrag nicht genau so gestellt wurde, wie es die Vorschriften verlangten, oder wenn das Formular nicht korrekt ausgefüllt war. Sein Einfallsreichtum, was Pingeligkeiten, Behinderungen und Gemeinheiten anging, war legendär. Niemand stieg in Jussows düsteres, fensterloses Kellerreich hinunter, wenn es sich vermeiden ließ. Niemand suchte seine Gesellschaft oder grüßte ihn. Und als Alexander Lebed ins amerikanische Fernsehen ging, um über vermisste Kernwaffen zu sprechen und damit im 12. GUMO ein panisches Bemühen auslöste, den eigenen Arsch zu retten, weil die höheren Beamten sich verzweifelt bemühten herauszufinden, ob diese Bomben existierten und, wenn ja, was daraus geworden war (bevor sie die Verantwortung so weit und so schnell wie möglich von sich wegschoben), wurde Lew Jussow auch von niemandem gefragt, ob er in den langen Aktenregalen, die sich hinter ihm ins Dunkle erstreckten, darüber Aktenbelege habe.
    Dass er hierbei übergangen wurde, war nur ein weiterer Tropfen Galle in den See seiner Verbitterung. Je mehr er ignoriert wurde, desto mehr dachte er über die Schriftstücke nach, die über seinen Tisch gegangen waren und die er als seinen kostbarsten und bestgehüteten Besitz ansah. Etwas nagte in seinem Hinterkopf, eine verschwommene Erinnerung an einen Computerausdruck, der vor vielen Jahren bei ihm gelandet war, als die Hälfte der ehrgeizigen jungen Schnösel, die ihn jetzt herumkommandierten, noch kurze Hosen anhatten. Der Ausdruck enthielt eine Flut von Zahlen und steckte zusammengefaltet in einem braunen Umschlag. Dieses Aktenstück hatte keinen Namen, nur eine Kennziffer. Es gab auch keine Angaben zum Inhalt. Der Mann, der es ihm gegeben hatte, hatte behauptet, nicht zu wissen, worum es sich dabei handelte – nur ein Stück vom umfangreichen bürokratischen Treibgut, das in seiner Abteilung angeschwemmt worden sei.
    Vier Monate verstrichen mit verstohlener, aber unendlich geduldiger Suche, dann fand Jussow den Umschlag. Er trug die Aufschrift »Streng geheim« und das Amtszeichen des 12. GUMO mit dem Eingangsdatum.
    Jussow holte den Computerausdruck heraus. Das Papier war dünn, die Nadeldruckertinte zu hellgrau verblasst, doch er konnte die hundertsiebenundzwanzig Posten noch erkennen, die vertikal auf sechs Seiten aufgelistet waren. Jeder Posten bestand aus drei Ziffernfolgen. Die ersten zwei bestanden aus zehn oder elf Zeichen, unterteilt in Dreiergruppen durch Grad-, Minuten- und Sekundenzeichen. Die dritte Ziffernfolge bestand aus acht Zeichen in einer durchgängigen Sequenz. Ein vollständiger Posten sah so aus: 49° 24’ 29.0161“ 94° 21’ 31.047“ 99875495.
    Lew Jussow hatte sein ganzes Arbeitsleben im 12. GUMO verbracht. Die ersten zwei Ziffernfolgen waren leicht zu verstehen. Er wusste, wann er einen Satz Koordinaten vor sich hatte. Normalerweise wurde damit ein Angriffsziel angegeben, das entweder angepeilt wurde oder schon getroffen worden war. Aber wenn diese Zahlen nun keine
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