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SAM

SAM

Titel: SAM
Autoren: Susanne Caspary
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während ihre Hände immer noch das Buch auf ihrem Schoß hielten und ihr kraftloser Körper schlaff gegen das Polster lehnte. Immer wenn ich sie dort so schlummernd sitzen sah, war es, als wenn die Welt um uns herum stehenbleibt und nichts diesen friedlichen Moment jemals stören könnte.
     
    Ich stehe auf und gehe durch das Wohnzimmer hinaus in den Vorgarten, um aus dem Briefkasten die Zeitung zu holen. Woodland ist ein kleines Dorf südöstlich von Glastonbury und ich habe mich hier bereits ganz gut eingelebt. Viele der Nachbarn kennen mich seit Kindheitstagen und ihre Anteilnahme an Grannys Tod half mir in der ersten Zeit sehr über ihren Verlust hinweg. Ich nehme die Lokalzeitung und laufe schnell wieder zurück zum Haus. An der Haustür bleibe ich noch einmal stehen, drehe mich um und schaue in den Vorgarten. Grannys Rosen stehen nun in voller Blüte und ich atme tief deren Duft und die feuchte und dennoch warme Sommerluft ein. Der Regen hat inzwischen etwas nachgelassen. Wie lange werde ich wohl noch hier bleiben und wann wird es mich wieder zurück nach Arizona  ziehen? Darüber konnte ich mir bisher noch keinen abschließenden Gedanken machen. Nach Großmutters Tod prasselten so viele Dinge auf mich ein, dass ich zunächst beschloss, alles ruhig anzugehen und bedacht jeden weiteren Schritt zu planen. Zunächst waren natürlich alle Angelegenheiten hinsichtlich des Nachlasses zu klären.
    Ich gehe zurück ins Haus und schließe die Tür.
    Großmutter hat mich in ihrem Testament zur Alleinerbin ernannt und deswegen muss ich mich nun um ihren kleinen Buchladen und das Haus kümmern. Ich kann von Glück sagen, dass Dekan Williams, Leiter der Universität in Arizona, meinem Wunsch entsprach, noch bis Ende des Jahres mein Studium ruhen lassen zu dürfen. Ich denke, er hat dem nur deswegen zugestimmt, weil ich zu seinen besten Studentinnen gehöre. Also nehme ich mir die Zeit, genau zu überlegen, was als nächstes zu tun ist. Eines ist klar, den kleinen Buchladen werde ich nicht lange halten können, weil die Geschäfte schon in den letzten Jahren nicht mehr so gut liefen. Da aber Grannys und mein Herz so sehr an dem Laden hingen, fällt es mir sehr schwer, ihn aufgeben zu müssen. Und wohin mit all den Büchern? Und dann war da noch Grannys kleines Cottage. Ich bin hier aufgewachsen und liebe dieses Häuschen mit seinem reetgedeckten Dach, den kleinen Fenstern und dem wunderschönen Blumengarten. Hinter dem Haus steht noch immer der Apfelbaum, den Mom und ich gepflanzt haben und er trägt noch jeden Sommer wunderbare, süße Äpfel. Nein, das Haus kann ich nicht verkaufen. Zu viele schöne Erinnerungen sind damit verbunden.
    Nachdem ich gefrühstückt habe, gehe ich nach oben und nehme ein ausgiebiges Bad. Während sich das warme Wasser um meinen Körper schmiegt, denke ich darüber nach, wie es in meinem Leben weitergehen soll. Dabei fällt mir auch wieder Nick ein. Nick, den ich eigentlich schon längst ad acta gelegt hatte…oder wollte…oder sollte! Ich war eineinhalb Jahre mit Nick zusammen. Wir studierten an der selben Uni und belegten beide den Kurs „Altägyptische Schriftzeichen“. Er war groß, hatte schwarz gefärbte Haare, die wild nach allen Seiten abstanden, graugrüne Augen, war schlank und sah einfach nur unglaublich cool aus. Seine Jeans hingen immer so tief in den Hüften, dass man genau sehen konnte, was für eine Boxershorts er darunter trug. Er spielte in der Campus-Rockband Gitarre und hatte ein kleines Studentenappartement in Tucson. Er war zweifelsohne einer der begehrtesten Jungs auf der Uni. Die anderen Jungs lästerten „Freak“, die Mädchen schmachteten ihn an. Er sah so gut aus, dass ich wahrhaft nicht annähernd daran dachte, jemals zu seinem erweiterten Bekanntenkreis gehören zu dürfen. Aber wie das Leben so spielt, setzte er sich eines Tages in Hörsaal direkt hinter mir in die Reihe, und als die Vorlesung begann und wir anfingen uns Notizen zu machen, hörte ich plötzlich hinter mir ein Rascheln und Rumoren und schließlich ein entnervtes: „Shit!“ Schon tippte er mir auf die Schulter. Da war sie, die Gelegenheit ein Wort mit ihm zu wechseln: „Ja?“, fragte ich leise. „Kannst Du mir mal `nen Stift leihen?“ Er lächelte mich bittend an und es war um mich geschehen. So lernten wir uns kennen und von nun an trafen und verabredeten wir uns öfter. Wir lernten zusammen, führten endlose, intellektuell fragwürdige Gespräche über Gott und die Welt, lachten viel
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