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Saeculum

Titel: Saeculum
Autoren: Poznanski Ursula
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mal überlegt«, fragte er leise, »was du an meiner Stelle getan hättest?«
    Hundertmal, mindestens. Bastian antwortete nicht. Vielleicht etwas Ähnliches. Vielleicht etwas völlig anderes. Vielleicht gar nichts.
    Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus, zäh wie warmer Gummi.
    »Na gut, dann gehe ich mal wieder.« Mit einem Ruck zog Paul den Gürtel seiner Jacke enger. »Carina wartet. Wir sehen uns, denke ich.« Er steckte die Hände in die Jackentaschen und ging auf die Straße hinaus. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
    Bastian behielt die große Scheibe des Frontfensters im Auge, hinter der sich nur wenige Momente später die hochgewachsene Silhouette seines Bruders abzeichnete, den Schritt verlangsamte und die Hand hob, in einer scheuen und gleichzeitig hoffnungsvollen Geste, einem halben Winken. Bevor Bastian sich abwenden konnte, war Paul hinter der nächsten Hauswand verschwunden.

 
    E s war beinahe zehn Uhr abends, als sich endlich der Schlüssel im Schloss drehte. Dann der übliche dumpfe Laut auf den Dielen. Zweimal kurzes Poltern von den Schuhen, die durch den Flur segelten und unsanft in verschiedenen Ecken landeten. Sekunden später stand Iris in der Tür zum Wohnzimmer. »Ich hatte einen unglaublichen Tag«, verkündete sie. »Und ich erst!«
    »Keine Chance, ich erzähle zuerst. Hast du etwas zu essen mitgebracht? Pizza, Quiche, Austern?«
    »Nein, Madame müssen mit einem Rest Lasagne und Gemüseeintopf vorliebnehmen. Ich bin untröstlich.« Bastian zog sie auf seine Knie, wuschelte ihr durchs Haar und vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken. Dort roch es nach Wiese und Salz und ein bisschen nach Holzkohlenfeuer.
    »Ich habe Sandra getroffen«, begann sie. »Auf dem Markt. Sie sucht Paul und ist so verzweifelt, dass sie sogar mich nach ihm gefragt hat.« Iris rückte so weit von Bastian ab, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »Ich würde mich nicht wundern, wenn sie demnächst hier vor der Tür steht und dich nach ihm ausquetscht.«
    »Klüger wäre, sie kommt ins Lokal, dort hat sie bessere Chancen, ihn zu finden.«
    Iris' Mund klappte auf. »Meinst du, er war -?«
    »Genau. Heute Abend. Erst Handyanrufe im Zehnminutentakt, dann er höchstpersönlich.« Bastian lehnte sich in seinem Sessel zurück.
    »Was wollte er?«
    »Frieden schließen, denke ich.« Und mir den Vaterschaftsnachweis unter die Nase halten.
    »Und? Habt ihr Frieden geschlossen?«
    »Ich weiß es nicht.« Das war die reine Wahrheit. Er mochte Paul nicht. Er hasste Paul auch nicht, nicht mehr jedenfalls. »Vielleicht so etwas wie Waffenstillstand. Wenn die Entfernung zwischen uns groß genug ist.«
    Iris nahm Bastian die Brille ab, setzte sie auf ihre eigene Nase und hob belehrend einen Zeigefinger. »Meinetwegen musst du nicht den Racheengel geben, das weißt du, oder?«
    Er zog sie an sich. Küsste sie, atmete sie ein. »Paul hatte also wieder mal recht«, stellte er fest, als sie sich voneinander lösten.
    »Und das sagst du jetzt … weswegen?«
    »Er meinte, du würdest ihn besser verstehen als ich. Weil du weißt, wie hart das Leben sein kann, im Gegensatz zu mir Weichei.«
    Sie dachte darüber nach. »Manches verstehe ich. Ja.« Sie zwinkerte, zog die Brille ab und legte sie auf den Tisch. »Schließ ruhig Frieden mit ihm«, sagte sie und zeichnete mit einem Finger Bastians Augenbrauen nach. »Aber vertrau ihm nicht. Er wird es umgekehrt auch nicht tun.«
    Mit einem Ruck stand sie auf. »So. Hunger. Ich werfe mal deine Beute in die Mikrowelle. Willst du auch noch etwas?«
    Er schüttelte den Kopf, warf gähnend einen Blick auf die Büeher, die sich auf dem Couchtisch türmten, und beschloss, für heute Feierabend zu machen.
    »Doro habe ich auch getroffen«, rief Iris aus der Küche.
    »Oh Gott.«
    »War auch meine erste Reaktion. Sie sagte, ich dürfe mich bei ihr bedanken.«
    »Wie bitte?«
    Er hörte sie lachen. »Fand ich auch frech. Außerdem meint sie, mein Schicksal hätte sich gewendet. Es mag mich jetzt, sagt sie.«
    Bastian ging zu ihr in die Küche und umschlang sie von hinten. »Könnte stimmen. Paul hat nämlich noch etwas erzählt.«
    Sie drehte sich in seinen Armen um. »Ja?«
    »Simon ist stationär in eine Klinik eingewiesen worden. Er hat eine Krankenschwester angegriffen, sie werden ihn also so schnell nicht wieder rauslassen.«
    Iris strahlte nicht so sehr vor Glück, wie er sich das ausgemalt hatte.
    »Er kann trotzdem eines Tages vor der Tür stehen«, sagte sie. »Das weißt du, nicht?
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