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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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Umsatz- und Verbrauchssteuern ergeben 80 Prozent des gesamten Steueraufkommens, die Unternehmens- und Gewinnsteuern machen nur 12 Prozent aus. Fast 8 Millionen Menschen leben von Niedriglöhnen, sechs Millionen arbeiten für unter 8 Euro. 12 Millionen Menschen in Deutschland leben an oder unter der Armutsgrenze. 25 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben sogenannte »prekäre« Jobs: Leiharbeit, Zeitarbeit, Werkverträge, Praktika. Jeder zweite neu zu besetzende Arbeitsplatz ist befristet.
    Gleichzeitig waren die Reichen in Deutschland noch nie so reich wie heute: 1970 besaß das oberste Zehntel der (West-)Deutschen 44 Prozent des Nettogeldvermögens. 2011 waren es 66 Prozent. »In einem dramatischen Konzentrationsprozess hat mithin das oberste Zehntel sage und schreibe zwei Drittel des Privatgeldvermögens an sich gezogen« 8 , schreibt der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler.
    Man kann in Deutschland wie in einer Versuchsanordnung beobachten, dass sich im Kapitalismus die Ungleichheit in dem Maße von alleine ausbreitet, wie der Staat darauf verzichtet, gegen sie vorzugehen. Wie ein gigantischer Mahlstrom zieht das Geld immer weiteres Geld an – und sorgt für seine Ballung auf engem sozialen Raum. Am deutlichsten wird das bei den Erben. Wehler hat ausgerechnet, dass zwischen 2000 und 2020 in Deutschland mehr als fünf Billionen Euro vererbt werden: »Die Vermögenszusammenballung hat sich also in den letzten Jahren folgerichtig fortgesetzt. 1993 besaß das oberste Zehntel 44 Prozent des Nettovermögens. Bereits 2001 wurden unter seinen Fittichen 61 Prozent aller Privatvermögen registriert. In den vergangenen fünf Jahren ist das Privatvermögen von 4,5 auf neun Billionen angestiegen. Dieser drastische Zuwachs ballt sich überwiegend bei den obersten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung zusammen.« Aber anstatt dass der Staat einen Gutteil dieses nicht verdienten Geldes für öffentliche Zwecke nutzt, wurde die Erbschaftssteuer im Interesse der Vermögenden im Gegenteil noch weiter gesenkt.
    Schon 2008 hatte die OECD vorgerechnet, wie die Ungleichheit sich in Deutschland ausgebreitet hat. Anfang der neunziger Jahre lag der Anteil der Armen in Deutschland um ein Viertel unter dem OECD-Schnitt. Knapp 20 Jahre später lag er knapp darüber. »Insgesamt haben in Deutschland Ungleichheit und Armut in den Jahren 2000 bis 2005 so schnell zugenommen wie in keinem anderen OECD-Land«, hieß es in der Studie.
    Die 5000 reichsten Haushalte haben seit Mitte der neunziger Jahre ihren Anteil am Gesamteinkommen um etwa die Hälfte gesteigert. In der gleichen Zeit blieben die realen Einkommen aller Deutschen praktisch unverändert. Und die tollsten Zeiten der Selbstbedienung fielen ausgerechnet in die Ära der rot-grünen Regierung. Zwischen 1998 und 2006 verdoppelten sich die Bezüge der Vorstände der größten 30 deutschen Unternehmen. Ein ganz normaler Arbeitnehmer dagegen musste eine Senkung seines Reallohns hinnehmen. 1989 betrug das durchschnittliche Vorstandssalär in den 30 DAX-Konzernen 500.000 DM. Im Jahr 2009 waren es sechs Millionen Euro.
    Wie soll man sich des Gefühls erwehren, dass es in Deutschland inzwischen beinahe so zugeht wie früher in den Ländern der sogenannten Dritten Welt? Wir sparen nach unten und verteilen nach oben. Das ist keine Ideologie. Das ist Realität, und es lässt sich in Zahlen darstellen. Wir haben uns schon so daran gewöhnt, dass wir diese Umverteilung nicht mehr für den Skandal halten, der sie ist. Wo ist das Wachstum der vergangenen 15 Jahre geblieben? An den mittleren Einkommensgruppen ist es vorbeigegangen. Die unteren haben verloren. Nur die oben, die haben gewonnen. Im Durchschnitt sind die Löhne seit dem Jahr 2000 um fast drei Prozent gesunken, am stärksten zwischen 2004 und 2009. Das bleibt nicht ohne Folgen: »Wenn sich die Einkommen so unterschiedlich entwickeln, entstehen unterschiedliche Wertvorstellungen«, sagt der gewerkschaftsnahe Volkswirt Gustav Horn.
    Im Herbst 2012 ließ sich plötzlich feststellen, dass – zum ersten Mal seit Jahren – die Einkommen der unteren Schichten gewachsen waren, zwar nur um zwei Prozent, aber immerhin. Währenddessen waren die Einkommen der Wohlhabenden gleich geblieben. Der Grund lag in der Zunahme der Beschäftigung einerseits und der Finanzkrise andererseits, die für kurze Zeit den seit Jahren gültigen Trend umkehrte, nach dem sich Kapital besser auszahlt als Arbeit. Aber es spricht nichts dafür, dass es damit ein
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