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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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bemisst sich dagegen nur im Vergleich. Und Gleichheit ist darum viel mehr noch als Gerechtigkeit eine Kategorie der Nähe. Vergleichen kann ich mich nur mit meinem Nächsten. Und natürlich mit mir selbst, meiner eigenen Vergangenheit.
    Die Frage in unserer Gesellschaft lautet: Wer ist mein Nächster? Eine alte Frage. Im Lukas-Evangelium ist der Nächste einer, der unter die Räuber gefallen ist. So wie wir alle unter die Räuber gefallen sind.
    Also, auf welchen Vergleich habe ich noch Anspruch? Schlimm ist es für die Leute, wenn der Vergleich mit dem Nächsten ungünstig verläuft. Noch schlimmer ist es, wenn der Vergleich mit der eigenen Vergangenheit eine Verschlechterung der Verhältnisse enthüllt. Schlechte Zustände werden weit weniger kritisiert als Verschlechterungen der Zustände. Uns bekümmert der Reichtum der russischen Oligarchen ebenso wenig wie die Armut der indischen Harijans. Aber wenn der Kollege einen ungerechtfertigten Vorteil kassiert oder wenn der eigene Lebensstandard sinkt, während der des Nachbarn steigt, kommt Wut auf.
    Dabei haben die Leute nichts gegen Reichtum. Das Wort von der Neidgesellschaft ist ein politischer Kampfbegriff. Die Leute sind viel weniger neidisch, als man ihnen vorwirft. Im Gegenteil: Es gibt einen sozial partizipatorischen Reichtum, dem man mit Staunen beiwohnen kann, vielleicht sogar mit Freude. Wenn da Neid aufkommt, dann ist es ein lustvoller Neid. Wir sehen die Reichen gern, die an unser aller statt reich sind. Sie geben das Geld in unser aller Namen aus. Das gehört zum Wesen des sogenannte Geltungskonsums, Thorstein Veblens berühmter »conspicuous consumption«. Vom Veblen-Effekt spricht man, wenn die Nachfrage nach einer Ware steigt, obwohl ihr Preis steigt. Das geht gegen die Logik der klassischen Ökonomie, die für diesen Fall eine sinkende Nachfrage voraussieht. Aber die hatte immer schon Schwierigkeiten, mit der Psyche der Menschen zu rechnen.
    Niemand neidet dem Popstar sein Vermögen, und je öffentlicher er es zur Schau stellt, umso besser. Wer würde über einen wie George Best schimpfen, den legendären Flügelstürmer von Manchester United, der gesagt hat: »Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.« Peer Steinbrück dagegen, wir werden darauf noch kommen, hatte Mühe, seine gut dotierte Vortragstätigkeit zu erklären.
    Steinbrücks Kontrakte waren geheim. Bis er gezwungen wurde, sie publik zu machen. Da begann das Murren.
    Es gibt eine Ungleichheit, die sich in öffentlichem Reichtum äußert, mit der wir alle – in gewissen Grenzen – gut zurechtkommen. Und es gibt eine Ungleichheit, die sich im geheimen Reichtum äußert, die auf die Dauer ein Gift ist. Der Unterschied liegt in der Öffentlichkeit. Die Eliten entfernen sich vom Rest der Gesellschaft. Sie zerbrechen den Vergleichszusammenhang. Sie entziehen sich dem Vergleich und damit der Gerechtigkeit. Sie genießen ihren Reichtum unter sich. Das geht eine Weile gut. Und dann beginnt das schleichende Gift der Ungleichheit die Gesellschaft von innen heraus aufzulösen. Für die Politik kann das zum Problem werden. Steinbrück ist ein Beispiel dafür. Männer wie er haben andauernd mit den Reichen und Mächtigen zu tun. Mit denen, die sich vom Rest der Gesellschaft entfernen. Mit wem soll er sich vergleichen? Mit den Eliten, denen er verpflichtet ist, die ihm nach dem Ausscheiden aus dem Amt einen Posten verschaffen sollen? Oder mit den Wählern, deren Stimmen er braucht? Da gerät der Referenzrahmen des Politikers unter eine ungeheure Spannung. Steinbrück hat in einem Buch geschrieben: »Ich habe mal aus Jux ausgerechnet, dass meine Vergütung als Bundesfinanzminister 35 bis 40 Euro netto pro Stunde war.« Aber das war kein »Jux«. Das war echtes Entsetzen darüber, dass er selbst so wenig verdient, aber die Leute, vor denen er in seiner Zeit als Abgeordneter seine Reden hielt, so viel. Steinbrück hat sich verglichen und war nicht erfreut. Er hat sich mit denen verglichen, mit denen er verglichen werden will: mit der Kaste der Manager der globalen Wirtschaftselite. Das ist seine Peergroup, viel mehr als irgendein sozialdemokratischer Ortsverein. Das Ergebnis musste ihn enttäuschen.
    François Dubet zitiert dagegen einen jungen Ingenieur, der die gegenteilige Erfahrung macht: Wenn er nur sich selbst betrachte, sagt der Mann, bedauere er sich. Wenn er sich dagegen mit anderen vergleiche, beruhige ihn das. Auf Französisch
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