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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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Ende haben könnte – und alles, dass es sich hier gleichsam um eine statistische Anomalie handelt. Dennoch wurde der 2-Prozent-Zuwachs am unteren Ende der Gesellschaft als Anzeichen dafür gefeiert, dass die ärmeren Teile der Bevölkerung »aufholen« würden. »Spiegel Online« etwa titelte frohgemut: »Die Deutschen werden wieder gleicher.«
    Nach dem Höhepunkt der Finanzkrise ging das Wort um, es gehe uns glänzend. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, im Vergleich zu anderen Ländern in Europa stehe »Deutschland wie Alice im Wunderland da«. Daraus konnte man schließen, dass Steinbrück das Buch nicht gelesen hatte – aber was er meinte, war klar: Kein Land habe die Krise so gut überwunden wie Deutschland. In der »Zeit« konnte man sogar lesen, dass es dem Land »so gut geht wie selten seit ’49«.
    Und tatsächlich: Die Auftragsbücher der Firmen waren ja voll, die Wirtschaft brummte, die Arbeitslosigkeit war niedrig, und das Haushaltsdefizit lag unter der Grenze des Maastricht-Vertrages. Die Regierung konnte sogar schon Steuersenkungen versprechen.
    Es gehört zur Propaganda der neoliberalen Ideologen, dass das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft dem Wohlergehen der deutschen Bevölkerung entspricht. Die Wahrheit ist: Wenn es der Wirtschaft gutgeht, muss es den Menschen noch lange nicht gutgehen. Es ist lange her, dass sich am Stand der Wirtschaft ablesen ließ, wie es den Menschen geht. Heute hat das eine mit dem anderen wenig zu tun. Und wer sagt, dass es Deutschland gutgeht, verschleiert bewusst das Problem der wachsenden sozialen Ungleichheit.
    Den Randgruppen der deutschen Gesellschaft geht es nämlich alles andere als glänzend. Die Randgruppen, das sind aber nicht nur Asylsuchende, Migranten und Behinderte, sondern auch Kinder, Alte und Arbeitslose. Egal ob es um Bildung geht, um Gesundheitsversorgung, um den Zugang zum Arbeitsmarkt: Deutschland ist schon lange kein gerechtes Land mehr.
    Das Grundproblem der Verteilung liegt in der Steuerpolitik: Die Steuerlast wird von den Lohnempfängern getragen, nicht von den Vermögenden. Der Staat bedient sich beim Lohn. Darum verdampft auch jede Gehaltserhöhung. Die Vermögen besteuert der Staat hingegen gar nicht, ihre Erträge nur mäßig. Es ist darum kein Wunder, dass die Löhne und Gehälter stagnieren, die Vermögen aber zunehmen.
    Und wenn die Politik Steuersenkungen ankündigt, dann schaden die den meisten Menschen in Wahrheit nur. Weniger Geld für die öffentliche Hand bedeutet fast immer weniger öffentliche Einrichtungen und schlechtere Infrastruktur. Von öffentlichen Einrichtungen profitieren aber die am meisten, die selber nicht viel haben. Wer einen eigenen Pool besitzt, braucht das Freibad nicht. Alle anderen schon.
    Aus den Zahlen ergibt sich die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Und es hat überhaupt nichts mit Sozialneid zu tun, diese Frage zu stellen. Das ist ohnehin ein ärgerlicher Begriff: Sozialneid. Er ist ein Hebel in der Unmuts-Bekämpfungsmaschine der Eliten. Wer lässt sich schon gern Neid nachsagen? Der Zweck dieses Begriffs besteht darin, die Debatte abzuwürgen. Es geht um Sozialkritik, nicht um Sozialneid. Denn soziale Ungleichheit ist nicht ursprünglich. Sie ist ein von Menschen gemachtes Übel.
    Wenn niemand von uns wüsste, was die Zukunft bringt, wäre unser Interesse an Gerechtigkeit sehr groß. Wir würden auf Fairness bestehen und auf Regeln und darauf, dass diese Regeln eingehalten werden. Wir würden uns dafür einsetzen, dass der Zugang zu Wissen und Wohlstand, zu Gesundheit und Glück jedem Einzelnen gleichermaßen offensteht. Wir würden aus wohlverstandenem Eigeninteresse so handeln. Weil wir nicht wissen, ob wir es nicht selbst sein werden, die einmal davon profitieren, dass die Verhältnisse gerecht sind. Das ist der berühmte »Schleier des Nichtwissens«, der für den amerikanischen Philosophen John Rawls eine Bedingung der gerechten Gesellschaft ist: Wer seine Zukunft nicht kennt, hat ein Interesse an Gerechtigkeit. Aber der Schleier wurde weggerissen. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt: Inzwischen kennt ein jeder von uns seine Zukunft. Wer oben ist, bleibt oben. Wer unten ist, bleibt unten. Wer reich ist, wird reicher. Wer arm ist, bleibt arm. Wer eine solche Formulierung als grobe Vereinfachung ablehnt, als Holzschnitt, der die deutsche Wirklichkeit nicht angemessen wiedergibt, der hat sich mit dieser Wirklichkeit nicht beschäftigt.
    »Kaum Bewegung, viel
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