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SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)

Titel: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (German Edition)
Autoren: Jakob Augstein
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sind der Preis, den die Staaten dafür zahlen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Dieses System ist jetzt an sein Ende gekommen.
    Die Reichen schonen und die Armen besänftigen – das wird nicht mehr gehen. Jetzt geht nur noch: Steuern erhöhen oder sparen.
    Die europäischen Regierungen haben sich für das Sparen entschieden. Darum nimmt die Ungerechtigkeit weiter zu: Schulen, Schwimmbäder, Bücherhallen, Krankenhäuser – wer Geld hat, ist nicht darauf angewiesen, dass solche öffentlichen Einrichtungen in gutem Zustand sind. Alle anderen schon. Was wird geschehen? Wird der Strom der Wut wachsen? Und wohin wird er dann fließen? Wir können es uns vorstellen: nach rechts. Wenn die Staaten sparen, werden sie das System nicht in Richtung Demokratie reformieren, sondern es in Richtung Autokratie deformieren.
    Dem Kapitalismus ist das egal. Er braucht die Demokratie nicht mehr. Die Chinesen haben uns das vorgemacht. Sie betrachten uns mit teilnahmsloser Neugier, wie kuriose Tierchen. Mit Blick auf die sonderbaren Wahlrituale in Europa schrieb der chinesische Journalist Zhong Sheng: »Populismus und Konservatismus werden dort wahrscheinlich zunehmen.« Dem Westen mangele es, so der Kommentar in »Renmin Ribao«, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Chinas, an Wille und Fähigkeit, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Mark Siemons, »FAZ«-Korrespondent in Peking, bemerkte dazu, das laufe am Ende auf die Frage hinaus, »ob Kapitalismus überhaupt mit Demokratie funktionieren kann. Oder nicht gleich in den Händen der Kommunisten besser aufgehoben wäre.« Die Antwort ist klar.
    Was wird auf die Krise der westlichen Gesellschaften folgen? Wie könnte unsere Genesung aussehen – und was müssen wir als Ende fürchten? Denn dass wir uns vor einem solchen Wendepunkt befinden, wird niemand mehr leugnen wollen. Eine Normalität, zu der wir zurückkehren können, gibt es nicht mehr. Jede Erholung dieser Monster, die wir »die Märkte« nennen, wird in unseren Augen nur eine vorübergehende sein. Wir werden jederzeit damit rechnen, dass diese Monster wieder vor dem Zusammenbruch stehen, wieder über uns herfallen, wieder besänftigt werden müssen. Wir haben das Vertrauen verloren.
    Wir lernen aus der Geschichte bekanntlich wenig. Aber an diese Lehre von Weimar sollten wir uns erinnern: Die res publica amissa – so der an Cicero angelehnte Titel eines Buches des Althistorikers Christian Meier – wird am Ende untergehen. Das vernachlässigte Gemeinwesen hat keine Zukunft. Wenn es darum geht, was uns wichtiger ist, die Demokratie oder der Kapitalismus – wie werden wir uns entscheiden? Und: Wird man uns überhaupt entscheiden lassen?

04 UNGLEICHHEIT
    Wo nehmen unsere Gedanken ihren Anfang? Bei der Gleichheit oder bei der Ungleichheit? Ein Konservativer würde dem preußischen Historiker Heinrich von Treitschke zustimmen, der sagt, alles politische Denken habe mit dem Satz von der ursprünglichen Ungleichheit des Menschen zu beginnen. Ein Linker würde mit dem französischen Aufklärer Rousseau von der naturgewollten Gleichheit ausgehen. Er würde die Gleichheit zum Maßstab machen und jede Abweichung davon unter den besonderen Zwang der Rechtfertigung stellen. Nichts gegen Ungleichheit – sie muss aber einen guten Grund haben. Das Problem ist, dass die Ungleichheit, die wir beobachten, immer schlechter zu begründen ist.
    Es geht nicht um die Ungleichheit an sich. Sondern um das Maß und die Rechtfertigung. Ungleichheit wird unerträglich, wenn sie maßlos ist.
    Der Turiner Philosoph und Politiker Norberto Bobbio hat einmal über seine Kindheit geschrieben, über »die langen Ferien auf dem Land«, in denen er, der Junge aus der Stadt, mit den Kindern der Bauern spielte: »Zwischen uns bestand zwar ein ganz und gar herzliches Verhältnis, und die Klassenunterschiede waren vollkommen irrelevant, aber der Kontrast zwischen unseren Häusern und ihren, zwischen unserem Essen und ihrem, zwischen unserer Kleidung und ihrer entging uns nicht. Jedes Jahr, wenn wir für die Ferien dorthin kamen, erfuhren wir, dass wieder einer unserer Spielkameraden während des Winters an Tuberkulose gestorben war. Dagegen erinnere ich mich nicht, dass auch nur ein Einziger meiner Schulkameraden in der Stadt aufgrund irgendeiner Krankheit gestorben wäre.«
    Dieses »Schauspiel der ungeheuerlichen, ebenso jedes Maß übersteigenden wie ungerechtfertigten Ungleichheit zwischen Reichen und Armen« sei es
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