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Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender

Titel: Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
Autoren: Berte Bratt
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sagte.
    „Ich beneide dich, Beatemutti“, seufzte sie. „Wie gern wäre ich dagewesen, wenn das Kind kommt!“
    Sonja freute sich unsagbar auf Beate. „In solchen Stunden soll man seine Mutter bei sich haben“, hatte sie gesagt, und niemand fand es merkwürdig, daß sie ihre zwölf Jahre ältere Stiefmutter so absolut als Mutter betrachtete.
    Stefan nahm Beates Abreise männlich und beherrscht hin. Annette heulte dicke Tränen, genau wie ich es selbst gemacht hatte, als ich klein war und Mutti zur Erholung mußte. Daß ich selbst an der Notwendigkeit dieser Erholung schuld war, wurde mir allerdings erst viel später klar.
    Dann lag die ganze Verantwortung für das Wohlbefinden der Familie Rywig in meinen Händen. Aber Beate hatte gut vorgesorgt, und eigentlich ging alles recht reibungslos.
    Ich mußte oft an Beate denken, die in ihrer frühen Jugend den elterlichen Haushalt für einige Wochen übernehmen mußte - einen Haushalt von neun Personen! In der Zeit war es, daß Ihre Erziehungsmethoden sich sehr vereinfachten, daß meine Brüder kurzerhand an den Nacken gepackt und aus der Küche rausgeschmissen wurden, wenn sie sich als allzu tatkräftige Topfgucker betätigten, und daß ich zwischendurch mit einer abwaschnassen, aber sehr energischen schwesterlichen Hand eine hintendrauf geklebt bekam. An das letztere mußte ich denken, als Annettchen eines Tages dasselbe Schicksal widerfuhr. Diesmal war es aber meine Hand, die in Aktion trat, weil meine holde Nichte all die mühsam entkernten Pflaumen vernascht hatte, aus denen ich unseren Nachtisch machen wollte. Plötzlich verstand ich Beate so gut und verzieh ihr in meinem Herzen jeden Klaps und jedes ungeduldige Wort!
    Aber solche Ereignisse waren ja Kleinigkeiten, wir kamen schnell und lächelnd darüber hinweg und verstanden uns glänzend.
    So war es damals in Familie Hettring gewesen, und jetzt war es in Familie Rywig genauso.
    Beate hatte geschrieben, sie sei gut angekommen, freue sich sehr über das Zusammensein mit Sonja und Heiko und habe die einmalige Lady Robinson kennengelernt.
    Nun wartete alles nur auf den 8. September. So ungefähr um diesen Tag rum sollte das große Ereignis stattfinden.
    Aber am sechsten, spätabends, als wir gerade dabei waren, gute Nacht zu sagen und uns zu Bett zu begeben, klingelte das Telefon. Onkel Doktor ging ran. Der Ärmste, dachte ich. Bestimmt ein Unfall, nun muß er los, um zu schienen, gipsen, verbinden, womöglich operieren! Wie gut, daß ich mich nicht für das Medizinstudium entschlossen habe!
    „Doktor Rywig. ach so, ja bitte. Moment mal“, er griff nach Block und Bleistift. „Ja. ach du liebe Zeit. jawohl“, seine Hand flog übers Papier. „Ja, vielen Dank. würden Sie bitte wiederholen. danke schön!“
    Er legte den Hörer auf und drehte sich um zu Hans Jörgen und mir.
    „Nanu - Unfall?“ fragte ich.
    „Wie man’s nimmt - hier - ihr könnt lesen.“, er reichte uns den Block.
    „Heute gesunde Zwillinge, Helene 3000 Gramm, Beate 2900 stop Geburt normal stop Sonja wohlauf stop grüßt innigst stop ebenso Vati Heiko und Oma Beate.“
    „Mensch!“ rief ich.
    „Du irrst dich. Es sind zwei Menschen“, korrigierte Hans Jörgen.
    Onkel Doktor griff wieder zum Telefon.
    „Wen rufst du mitten in der Nacht an?“ fragte ich. „Weißt du, daß es bald Mitternacht ist?“
    „Glaubst du, daß Senta mir jemals verzeihen würde, wenn sie nicht sofort benachrichtigt würde?“ erwiderte Onkel Doktor und wählte mit einem etwas zitternden Finger die Nummer von Zahnarzt Rolf Skogstad.
    „Zwei Mädchen!“ kam es wie ein Seufzer von Hans Jörgen. „Also dasselbe Theater noch einmal!“

Es ist soweit
    Ich stand auf dem oberen Deck des Schiffes und winkte. Da unten auf dem Kai konnte ich noch Beate sehen und Hans Jörgen, der uns gefahren hatte.
    Der kleine Schlepper zog das Schiff und mich immer weiter weg, raus aus dem Hafenbecken. Jetzt konnte ich die Gesichter nicht mehr sehen.
    Bis jetzt hatte eine ganze, große Familie mir geholfen, mir gute Ratschläge gegeben, lebhaft an meinen Angelegenheiten teilgenommen. Jetzt war ich allein. So schrecklich allein. Zum erstenmal in meinem Leben allein!
    Wenn man sieben Geschwister hat und einen ganzen Haufen Nichten und Neffen, geschweige die Eltern, die immer für die Kinder da sind, dann hat man die erhabene Kunst des Alleinseins nicht gelernt. Was hatte Vati gesagt? Er hatte etwas von einem englischen Philosophen zitiert: „In unserer Zeit ist das Alleinsein
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