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Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender

Titel: Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender
Autoren: Berte Bratt
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entweder eine Strafe oder ein Luxus.“
    Bis jetzt war es für mich eher eine Strafe.
    Aber - das Schiff war groß und schön, es gab so allerlei zu entdecken. Die gelbe Oktobersonne strahlte, und die Inseln mit all den kleinen bunten Hütten und Villen im Oslofjord waren so hübsch anzusehen.
    Nur, daß ich keinen Menschen bei mir hatte, dem ich sagen konnte „ach, wie ist die Hütte dort niedlich“ oder „sieh doch die elegante Villa dort, wem mag die gehören“ oder so was.
    Es wurde kühl. Hier ganz oben pfiff der Wind richtig um die Ohren. Besser runtergehen, eine Erkältung konnte ich sehr schlecht gebrauchen.
    Kabine Nummer 42 - wo war sie nun gleich. Ich hatte doch vorhin meinen Koffer dort reingestellt, aber sich hier zurechtzufinden, wo alle Gänge gleich aussahen.
    Ach ja doch, hier mußte es sein.
    Ich machte die Tür mit der großen „42“ auf. Da stand mein Koffer, und da stand eine Dame am Waschbecken und wusch sich die Hände. Sie drehte sich um, nickte und sagte „guten Tag“. Auf deutsch.
    Aha. Jetzt fing es an. Jetzt würde es sich zeigen, ob ich auf deutsch zurechtkam, wenn ich mußte! Wenn es nicht mehr ein
    Schulfach war, sondern meine einzige Möglichkeit, verstanden zu werden.
    Die Dame trocknete sich die Hände. „Sind Sie Norwegerin? Aber sie sprechen deutsch, ja?“
    „Ja. ich werde es jedenfalls versuchen“, sagte ich. „Das werden Sie wohl oder übel tun müssen, denn nach drei Wochen in Norwegen kenne ich von Ihrer Muttersprache nur ,Skal’ und ,takk for maten’.“ Ich mußte lachen. Senta hatte behauptet, daß diese beiden Ausdrücke - „Prost“ und „danke fürs Essen“ immer das erste ist, was Ausländer lernen! Ja, und gegebenenfalls „jeg elsker deg“ - ich liebe dich - aber für den Ausdruck schien die Dame etwas zu alt zu sein!
    „Na, wir werden uns hoffentlich vertragen, sollte ich schnarchen, dann schubsen Sie mich energisch und unsanft!“
    Wie ich in der Oberkoje eine schnarchende Mitfahrerin in der Unterkoje schubsen sollte, war mir allerdings schleierhaft!
    „Macht nichts“, erklärte ich. „Ich schlafe wie ein gesunder Säugling.“
    „Sie sprechen ja ausgezeichnet deutsch!“ rief die Dame. „Waren Sie schon oft in Deutschland?“
    Ich erzählte ihr, daß ich zum erstenmal hinführe, und daß ich in Kiel studieren würde, und daß ich mein Deutsch in der Schule gelernt habe.
    So plauderten wir weiter. Sie war aufgeschlossen und plauderfreudig, erzählte, daß sie ihre Tochter besucht habe, die in Norwegen verheiratet sei. Weiter bekam ich zu wissen, daß sie in Hamburg wohne und Frau Segermann hieße.
    „Ihren Namen weiß ich schon“, gestand sie lächelnd. „Ich habe indiskreterweise auf den Anhänger Ihres Koffers geguckt!“
    Als Frau Segermann zum Essen ging, machte ich den geplanten Entdeckungsgang und kam aus dem Staunen gar nicht raus. Ich fuhr zum erstenmal in meinem Leben auf einem großen Schiff. So viele Räume, so lange Flure, so schöne Salons, und das alles auf der Touristenklasse! Wie fein würde es dann erst in der ersten Klasse sein!
    Da waren Geschäfte, wie man zollfrei kaufen konnte - Silber, Emailschmuck, Stricksachen und viel, viel mehr. Schokolade, Spirituosen und Zigaretten gab es für kaum mehr als die Hälfte vom Ladenpreis zu Hause! Es kostete wirklich etwas Überwindung, nichts zu kaufen, und ich mußte zu mir selbst ganz streng sagen: „Dein Geld ist sehr genau berechnet, Heidi! Da ist gar nichts übrig
    für Schokolade oder Emailschmuck!“
    Worauf ich mich wieder auf die Suche nach meiner Kabine begab. Dazu mußte ich eine Treppe tiefer. Dort hing ein großes Gemälde von unserem Kronprinzen, dessen Namen das Schiff trug.
    In der Kabine packte ich meine Thermosflasche und meine Brote aus. Es würde mir nie im Traum einfallen, in die Cafeteria zu gehen. Ich kannte es nicht anders. Nie war ich bei meinen Bahnreisen zwischen Tjeldsund und Oslo im Speisewagen gewesen. Ich hatte ein Butterbrotpaket, eine Thermosflasche und einen Apfel mit. Diesmal, wegen der Länge der Reise, zwei Butterbrotpakete und drei Äpfel!
    Dann saß ich da und kaute Beates delikate Brote, und es war, als brächten sie den frischen Duft aus ihrer Küche mit. Ich sah Beate vor mir, wie sie dastand in ihrem blauen Hauskittel, ich sah die weiße Butterdose, den elektrischen Brotschneider, die durchsichtigen Plastikbehälter für den Aufschnitt. Ich sah ihre geschickten Hände, und ihr fröhliches Lächeln.
    Dann gingen meine Gedanken weiter,
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