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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen
Autoren: Eva Rossmann
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er denkt.
    »Sie tanzen in der Nacht auf dem Tisch, sie trinken bis in der Früh, sie ruinieren Sachen im Hotel, da muss man schon aufpassen.« Er flüstert es fast.
    »Wo ist das passiert?«, frage ich neugierig.
    »Na auch hier, weniger in Zürs, bei uns ist es viel ruhiger, aber in Lech, keiner redet gern darüber. Die meisten Russen sind ja in Ordnung, auch wenn sie nicht Deutsch können. Die Russen sind eben nicht so zivilisiert, ich meine … Denken Sie an den Krieg, und was danach alles passiert ist, und dann die Sowjetunion, der Kommunismus.«
    »Aber bei Ihnen geben sie viel Geld aus?«
    Er lächelt und reibt sich die Hände. »Das muss man schon sagen, das schon. Ich hab zwei Verkäuferinnen eingestellt, eine kommt aus der Ukraine, und eine ist eine Russischstudentin aus Deutschland, das ist wichtig, sie wollen, dass man ihre Sprache spricht.«
    »Und: Haben die Russen Sonderwünsche, irgendetwas, das sie von anderen Kunden unterscheidet?«
    Er denkt nach, runzelt die Stirn. »Sonderwünsche … Ja, da hat es einen gegeben, der wollte für sich und seine Begleiter sofort etwas zum Anziehen, da war es schon spät am Abend, und wir hatten bereits geschlossen, er hat so lange gedrängt, bis wir für ihn noch einmal aufgesperrt haben. Er hatte erfahren, dass wir das für ein paar von den deutschen Industriellen immer wieder machen, die kaufen nicht so gerne zusammen mit allen anderen ein. Da haben wir eben nachgegeben. Auch wenn ich das schon ein wenig anmaßend gefunden habe.«
    »Und? War der Umsatz okay?«
    »Sehr in Ordnung, das muss man schon sagen. Sie lieben Designerstücke, und davon hab ich jede Menge, auch aus dem Vorjahr, den Russen ist das nicht so wichtig, zum Glück, und es sind ja jedenfalls schöne Sachen.«
    Ich nicke.
    Ich schlendere die Straße durch Zürs entlang, noch ist die Sonne nicht stark genug, um den Schnee und das Eis auf dem Gehsteig aufzuweichen. Ich rutsche, fange mich wieder und wundere mich, wie sicher sich die paar anderen Passanten auf dieser Oberfläche bewegen. Vor einem Hoteleingang stehen zwei Hausburschen mit langen grünen Schürzen, sie rauchen und lachen. Auf dem kleinen Parkplatz beim Souvenirladen kratzt eine Frau in einer voluminösen weißen Daunenjacke die Windschutzscheibe frei. Die zwei Autos neben ihr müssen schon lange da stehen, sie sind beinahe zugeschneit. Dahinter noch ein Auto, Mercedes-Geländewagen, schneefrei, ein Mann räumt eine Tasche in den Kofferraum. Sorger. Ob ich zu ihm hinübergehen soll? Vielleicht weiß er doch, warum die Russen geflohen sind? Er schlägt die Tür zu, ich mache einen raschen Schritt in seine Richtung, ich habe nicht aufgepasst, rutsche, falle, sitze mitten auf dem Gehsteig auf dem Hintern und denke: Wie peinlich. Dann erst: Hab ich mir wehgetan? Ich rapple mich auf, sehe zum Parkplatz hinüber, Sorger verschwindet gerade in einem Hauseingang, die Frau in der weißen Daunenjacke steigt in ihr Auto. Dahinter geht jemand vorbei. Der muskulöse Russe von gestern Abend. Ich reibe mir meine Rückseite, schaue auf den rutschigen Gehsteig, noch einmal falle ich nicht, und als ich wieder aufsehe: keine Spur vom Russen. Ich sollte seit Jahren eine Brille tragen. Aber für den Hausgebrauch reicht mir, was ich sehe. Jetzt allerdings … Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht. Ich tappe zum Parkplatz. Sorgers Geländewagen steht noch da, Wiener Kennzeichen. Kein Russe. Ich spähe in die Milchbar. Kein Russe. Mira, fang nicht an, überall Russen zu sehen. Ich muss zum »Eiskristall«. Ich bin schon spät dran. Ich eile, so schnell es mir ungefährlich erscheint, weiter, drehe mich trotzdem noch zweimal um. Kein Russe. Kein Sorger.
    Vor dem Restaurant studiere ich die Speisekarte. Ist so eine Angewohnheit von mir. Die Karte ist dreisprachig: deutsch, englisch und russisch. Vielerlei mit Gänseleber und Trüffeln, dazu, unvermeidlich seit ein paar Jahren, Kobe-Beef. Produkte, bei denen jeder Idiot nicht nur wegen der hohen Preise begreift: Hier isst man jedenfalls luxuriös. Einige andere Gerichte interessieren mich mehr. Frisch geräucherter lauwarmer Wels auf Wacholderschaum. Oder: Variation von der Gämse mit Kartoffelschnee.
    Ich trete ein. Das Lokal hat nur abends geöffnet. Im Eingangsbereich ist es dunkel, ich höre einen Staubsauger. Es riecht nicht nach Essen, sondern nach Desinfektionsmittel. Ähnlich wie das Theater lebt auch ein Restaurant dieser Kategorie von der Inszenierung. Jetzt ist keine Vorstellung. Kein Grund,
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