Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rune

Rune

Titel: Rune
Autoren: Brian Hodge
Vom Netzwerk:
und zuckender Schatten, der am Mond vorbeiflog, und dort unten war Aarons Wagen – und dahinter noch einer, den ich in der Entfernung nicht erkennen konnte.
    Ich flog ewig und fiel dann endlich. Denn was nach oben geht, muß auch wieder herunterkommen. Der Boden schwoll an; er würde hart sein, furchtbar hart, und ich würde nichts weiter sein als ein Häufchen zermalmter Knochen. Vielleicht auf dem Asphalt, vielleicht im Gestrüpp.
    Doch die Oberfläche des Teiches war alles, was ich einen Augenblick später sehen konnte, ein schwarzer Spiegel, der mit Lichtgeschwindigkeit auf mich zukam …
    Und dann brach ich durch die Fläche dieses Spiegels, und ein kurzes Donnern in meinen Ohren klang auf einmal gedämpft. Betäubende Kälte umhüllte mich wie ein nasses Leichentuch, und es war so schwarz dort unten, daß sich noch nie ein Lichtstrahl dorthin verirrt haben konnte.
    Blasen strömten aus meinem Mund. Ich tastete mit blinden Händen meine Umgebung ab, und meine Finger versanken im kalten Schleim am Grund. Noch mehr Blasen. In meinem Kopf pochte es mit einem Druck, der meinen Schädel gewiß sprengen würde, wenn ich dort nicht bald herauskam.
    Ich kroch durch den Dreck, trat und planschte mit den Füßen, und einen Moment später konnte ich ein lautes Platschgeräusch hören. Ich hatte kein Gleichgewicht und wußte noch nicht einmal, welcher Weg nach oben und welcher nach unten führte. Die letzte Luft ging mir aus, und erstickendes Brackwasser strömte in meine Lungen.
    Das war’s, gib auf laß einfach los …
    Ich fühlte Hände auf mir, die mich panisch nach oben rissen, und nach einem wahnsinnigen Moment des Kampfes brach ich aus dem Wasser hervor und kroch ans Ufer. Die kristallene Nachtluft war kalt und schneidend wie ein Messer, und als ich nach links sah, erkannte ich das Gesicht von Shelly Potter. Ihre Brille war voller Wasser und Dreck, und ihr Haar klebte in nassen Strähnen an ihrem Mantel. Ich war zu müde zum Nachdenken, zu verletzt, um mich zu fragen, wo sie hergekommen war. Für den Moment war es genug, daß sie überhaupt da war.
    Wir fielen gemeinsam auf das Gestrüpp, das den Teich umgab, und die überwältigende Kälte hatte meine Kehle gepackt und wollte nicht mehr ablassen. Wir husteten und röchelten, wir krochen nach oben, weg vom Teich und hin zum Asphalt. Und als ich dort ankam, stand die Zeit still.
    Denn ich hatte gerade gesehen, was Aaron vorhatte.
    Er sah in meine Richtung, und in diesem viel zu kurzen Blick erkannte ich selbst in der Entfernung, daß er noch immer mein Bruder war, daß einzig Aaron in diesem Körper steckte. Mehr als je zuvor.
    Es ist mein Kampf, hatte er gesagt. Du kannst es nicht verstehen …
    Doch sehr bald schon war mir alles klar.
    Er kniete auf dem Boden, einige Meter vom Wagen entfernt, vor dem großen Baum in einem Haufen abgehackter Zweige. Und vor Aaron stand der Runenstein. Er griff sich die Streitaxt mit beiden Händen und hob sie hoch über seinen Kopf …
    Aaron, gesegnet mit mehr Wissen über Olaf, als ich je erlangen konnte, und in einem Moment der völligen Freiheit, dieses Wissen auch anzuwenden, wußte wohl genau, was getan werden mußte – und er zögerte nicht, es zu tun.
    Denn die Liebe eines Bruders kennt keine Grenzen.
    Er ließ die Axt auf den Grabstein herabfallen, und funkensprühend spaltete er ihn in zwei Hälften. Ich schwöre, daß genau in diesem Moment der Regen abrupt aufhörte.
    Denn die Gunst der Götter galt jetzt uns.
    Über uns brach der Himmel auf; ein ohrenbetäubendes Donnern begleitete einen blendenden Blitz, der niederging, um den riesigen Baum zu spalten und dann in die Überreste meines Wagens zu fahren. Das Auto ging auf in einem Feuerball, der die Äste von den Bäumen brannte und die Nacht heller erleuchtete als die Sonne den Tag. Das letzte, was ich von Aaron sah, war, wie er rücklings in den Hain sauste.
    »AARON!« schrie ich. Ich stand kurz davor, k.o. zu gehen, doch ich riß mich ein weiteres Mal hoch. Ich schwankte wie ein Betrunkener und stolperte auf den Hain zu. Die Hitze rollte schon in Wellen über den Asphalt und ließ ihn bersten. »AARON!«
    »NEIN, CHRIS, NEIN!« Shelly rannte hinter mir her und hielt mich fest, bevor ich weiterkam, und wir beide fielen auf den Asphalt. Ich schlug um mich und drehte mich zum Hain um. Ich weinte, endlich, endlich weinte ich, und das tat auch sie.
    Und ich sah zu, wie meine Welt unterging.
    Der kurze Regen hatte nicht gereicht, um die Trockenheit von Wochen zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher