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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft
Autoren: Ange Guéro
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würden die Steine Hügeln, Gebüschen und Hainen weichen … Aber noch nicht. Sie waren im offenen Land, und die Blicke der Nacht versengten ihnen den Rücken.
    Sie erreichten die ersten Bäume, schwächliche Borkenakazien mit schmalen, windgebeugten Stämmen - zu schmal, um sich dahinter zu verbergen. Der Wind hatte aufgefrischt und blies böig; die toten Samenhülsen, die noch an den Zweigen hingen, knarrten. Von neuem stellte Arekh sich die Soldaten vor - und ihre Greifvögel, die am Himmel schwebten und nach ihnen suchten. Er bereute es sofort. Wenn man sich die Gefahr ausmalte, verärgerte man Fîr, den Herrn des Schicksals, der daraufhin das, was man fürchtete, heraufbeschwören würde.
    Diese Vorsichtsmaßnahme hatte Arekh in den letzten Jahren vernachlässigt. Aber hier, im offenen Land, stand nichts zwischen ihnen und den Göttern …
    Ein heiserer Schrei ließ den Himmel über ihnen vibrieren.
    Arekh murmelte Flüche, drehte sich um und gab den anderen einen Wink, sich ruhig zu verhalten, nur für den Fall … für den Fall, dass die Soldaten sie noch nicht
bemerkt hatten, trotz des Vogels, trotz aller Hinweise. Der Junge war nur einige Schritte entfernt, die Frauen hinter ihm. Arekh sah, wie sie sich reflexartig duckten, aber sie schauten sich nicht um und hoben auch nicht den Blick.
    »Was machen wir jetzt?«, flüsterte der Jugendliche, als er neben Arekh stand.
    Wider besseres Wissen hoffte Arekh, einen Rabenschwarm die Nacht durchflattern zu sehen, als er die Wolken absuchte. Doch leider war er da: ein gewaltiger Raubvogel, der über den Borkenakazien kreiste.
    »Da hinten sind die Bäume zahlreicher und das Gelände fällt noch weiter ab«, antwortete er mit gesenkter Stimme - sowohl dem Jungen als auch den Frauen, die gerade eintrafen. »Da unten muss ein Fluss sein. Gehen wir auf den Wald zu. Wenn das Wasser …«
    Der Lärm unterbrach seinen Satz, ließ Luft und Erde erzittern, und plötzlich herrschte rings um sie Chaos. Staubwolken, das Krachen junger, niedergetrampelter Stämme, das schreckliche Trommeln der Hufe auf dem Boden. Reiter. Mindestens zehn. Arekh rechnete mit Schreien, zumindest von den beiden Frauen: Er war das verzweifelte Heulen von Müttern im Krieg und im Zuge von Plünderungen gewohnt. Aber hier kam es zu keiner Reaktion. Einen Herzschlag lang blieben die vier Flüchtlinge reglos und schweigend stehen, sahen die Reiter auf sich zustürmen. Ihre Pferde waren im Dunkeln genauso gewaltig und furchterregend wie die Tiere der Abgründe, die auf Basreliefs Um-Erochs Karren zogen …
    …und zumindest einen Moment lang sahen die Reitpferde auch so aus, wie steinerne Tiere, die in einem ewigen Lauf erstarrt waren …
    »Zum Fluss!«
    Wer hatte gerufen? Die Hofdame vielleicht. Die beiden
Frauen nahmen einander an die Hand und begannen zu laufen. Arekh riss sich aus seiner Trance los und folgte ihnen. Es hatte keinen Sinn mehr, zum Fluss zu rennen, ein bisschen Wasser würde keine Reiter aufhalten, aber es spielte keine Rolle, in welche Richtung sie liefen, solange sie nur flohen und nicht einfach stehen blieben wie am Boden festgewachsen …
    Später musste Arekh sich noch einmal fragen, warum er diesen Moment nicht genutzt hatte, um in eine andere Richtung zu fliehen, während die Soldaten die beiden Frauen verfolgten. Sich seiner Heldenhaftigkeit zu rühmen, wäre eine Lüge gewesen … In Wahrheit hatte er einfach nicht die Zeit gehabt nachzudenken, hatte keinen zusammenhängenden Gedanken gehabt. Er war der Gruppe aus einem Instinkt heraus gefolgt, der jedem vernünftigen Überlebensdrang zuwiderlief.
    Sie rannten einen Abhang hinab und blieben mit Beinen und Füßen in den Dornenranken hängen. Eine der Frauen - in der Dunkelheit war es unmöglich zu erkennen, welche - stürzte und kam mit einem leisen Wimmern wieder auf die Beine. Der Lärm des Reitertrupps näherte sich, und sie hörten Schreie und Befehle. Dann fanden sie sich im Wasser wieder, überquerten den Fluss, der nur einige Fuß tief war. Nein, dieser Bachlauf würde weder die Reiter noch sonst irgendjemanden aufhalten! Sie liefen einen weiteren Abhang hinab, der noch mehr Dornenranken und Steine aufwies. Sie folgten dem Fluss nicht. Sie hatten sich nicht miteinander abgestimmt, niemand hatte die Initiative ergriffen, und dennoch fanden sie sich dabei wieder, die einzige Chance zu ergreifen, die sie hatten, wie Arekh aufging. Das Einzige, was die Pferde ins Stolpern bringen und ihre Verfolger aufhalten konnte, waren
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