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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft
Autoren: Ange Guéro
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Füße. Der Junge beobachtete sie dabei, fasziniert von den kunstvollen Tätowierungen, die ihre Knöchel zierten. Marikani blickte sich mit einer gewissen Neugier um.
    »Gebt mir zwei Res . Ich werde etwas zu essen besorgen«, sagte Arekh, verärgert, ohne recht zu wissen, warum.
    Er nahm die Münzen, ging, ohne sich noch einmal umzusehen, und schritt durchs hohe Gras. Er spürte das Geld in seiner Tasche und den Dolch an seiner Seite. Die Erinnerung an diesen Augenblick würde sich in sein Gedächtnis graben: an den stechenden Geruch des Grases, den sich bewölkenden Himmel, die langen Halme, die unter seinen Schritten brachen. Er musste nur weitergehen, den Hügel hinab, einen Landarbeiter töten und sich
Kleider verschaffen, wie er es am Strand beschlossen hatte. Die Münzen würden es ihm gestatten, sich Fladenbrot zu kaufen und einen Bauern dafür zu bezahlen, dass er ihn auf seinem Karren mitnahm, bis nach Meraïs, wo er dann den Dolch verkaufen würde.
    Das war der Weg, den er einschlagen musste. Der einzige. Er hatte jetzt ein bisschen Geld bei sich und würde ungestört reisen können, solange die Truppen des Emirs die beiden Frauen suchten - natürlich nur, wenn bekannt war, dass sie überlebt hatten.
    Marikani hatte ihm das Leben gerettet. Wie der Galeerensträfling, der sich am Strand von ihnen getrennt hatte, würde Arekh ihr danken, indem er sie nicht tötete und ihr auch nicht den Geldbeutel stahl. Er wünschte ihr sogar, dass es ihr gelingen würde, in ihr Land zurückzukehren.
    Aber er musste fortgehen, jetzt, solange noch Zeit war.
     
    Er kehrte zwei Stunden später in die Scheune zurück: mit Brot, getrocknetem Fleisch, Haferfladen und sogar einem kleinen Weinschlauch. Der Schäfer, dem er begegnet war, sprach einen unbekannten Dialekt und verstand nur einige Worte der alten Sprache des Südens. Doch es hatte keine Worte gebraucht. Der Schäfer hatte Arekhs Sträflingskleidung und den Dolch, den er in der Hand trug, gemustert. Arekh hatte auf seine Geldstücke gedeutet, dann auf die Nahrungsmittel in dem Beutel, den der Mann bei sich hatte.
    Der Austausch war kurz gewesen. Beide hatten gewusst, dass sie ein kalkuliertes Risiko eingingen. Arekh hätte ihn töten können, aber wenn die Einwohner des nächstgelegenen Dorfes den Leichnam gefunden hätten, hätten sie eine Treibjagd organisiert. Was den Schäfer betraf, so würde er,
wenn er das Geld annahm, bestimmt darüber schweigen, um sich nicht als Komplize verdächtig zu machen.
    Bestimmt.
    Sie begannen schweigend, das Brot und etwas von dem getrockneten Fleisch zu essen. Draußen wehte noch immer eine Brise, und Raben krächzten - Arekh hatte sie bei seiner Rückkehr um die Scheune kreisen sehen.
    Das Holz der Balken knarrte seltsam.
    Die Raben hörten auf zu schreien.
    Ein lauteres Krachen. Das Dach explodierte, das Heu stob auf, und plötzlich war es Marikani, die einen erstickten Schrei ausstieß, während sie gegen irgendetwas kämpfte. Ein strenger, animalischer Geruch stieg Arekh in die Nase, aber er hatte nichts gesehen und auch überhaupt nicht die Zeit gehabt, irgendetwas zu sehen. Der Junge und die Hofdame waren näher bei ihr. Die Hofdame reagierte als Erste und warf sich schreiend ebenfalls auf das Tier - war es ein Tier? Sie packte irgendetwas und zerrte; der Junge eilte ihr zu Hilfe.
    Arekh war aufgesprungen. Er sah einen Schnabel, hob den Dolch und stach zu.
    Blut spritzte auf; Marikani verbarg ihr Gesicht. Arekh stach noch einmal zu und schnitt dem kleinen Tier dann die Kehle durch - so, wie er als Kind die Pächter am Wassergraben den Hühnern hatte die Kehle durchschneiden sehen.
    Der Vogel richtete sich mit zerfetztem Hals auf; er versuchte zu fliegen, drehte den Kopf in alle Richtungen, während das Blut in ruckartigen Fontänen hervorsprudelte und das Kleid der Frau in Grau besudelte; der Staub und das Heu, die aufgewirbelt wurden, und die Schreie machten das Chaos perfekt.
    Dann - nichts mehr. Der Vogel stürzte tot auf den Scheunenboden. Die Hofdame beruhigte sich und beschränkte
sich darauf, sich mit starrem Blick das Blut aus dem Gesicht und von den Kleidern zu wischen. Der Junge wich zurück, und Marikani richtete sich wieder auf.
    Sie hatte tiefe Kratzspuren auf den Armen und am Hals; ihre braune Tunika war blutbefleckt. Vom Blut des Vogels , begriff Arekh, als er sah, dass sie sich trotz der Flecken auf ihrer Brust anscheinend relativ schmerzfrei bewegte.
    Ja, es war ein Vogel. Ein Raubvogel mit braunem Gefieder.
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