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Rune der Knechtschaft

Titel: Rune der Knechtschaft
Autoren: Ange Guéro
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der Hang und die Dornen.

    »Weiter! Da lang!«, rief der Junge, als sei ihnen beiden der Gedanke im selben Augenblick gekommen.
    Diesmal war es nicht nur ein Abhang, sondern eine Schlucht, eine Kluft von etwa zehn Metern Breite, voller Brombeergestrüpp und Sträucher, mit gezackten, auseinanderklaffenden Felsen. Die Schreie und der Hufschlag waren nicht mehr weit entfernt, obwohl es unmöglich war zu sagen, woher sie kamen - sie schienen mittlerweile Teil der Landschaft und der umgebenden Luft zu sein.
    Arekh zögerte. Nicht so seine Gefährten. Sie warfen sich den Abhang hinab, wie man in einen Fluss springt; ihre Füße glitten auf Steinen aus, die sich lösten, während ihnen Dornen und Zweige die Kleider aufrissen …
    Und plötzlich warf auch Arekh sich voran, ohne zu wissen, wann er seinen Entschluss gefasst hatte. Er hatte gerade noch Zeit zu spüren, wie der Boden unter ihm nachgab, wie er sich die Haut seiner Arme aufschürfte und mit dem Knöchel umknickte - dann fand er sich auch schon unten bei den anderen wieder.
    Der Waldrand war jetzt ganz nah. Arekh hörte, wie Marikani aufstand - hörte es, weil sie bei jedem Schritt wimmerte. Vielleicht hatte sie sich bei ihrem Sturz etwas verrenkt.
    »Zum Wald!«, krächzte er und deutete auf die Bäume.
    Erschöpfung übermannte ihn: Der Hals tat ihm weh, obwohl er nicht geschrien hatte, und dunkle Flecken tanzten ihm vor den Augen. Er versuchte, sie wie Fliegen zu verscheuchen, und verlor dann für einen Augenblick jegliches Zeitgefühl. Schließlich wurde ihm bewusst, dass er rannte, dass die Bäume nur noch ein paar Schritte entfernt waren … als plötzlich ein schwarzer Schatten zu Pferde dicht an ihnen vorüberkam und sich dann umdrehte.
    Ein Reiter. Warum nur einer? Vielleicht war er der erste,
der einen Weg gefunden hatte, auf dem er die Schlucht umgehen konnte, oder vielleicht hatte er den Mut aufgebracht, sein Reittier über die Kluft setzen zu lassen. Würden die anderen zu ihm aufschließen?
    Arekhs Gedanken überschlugen sich. Ja, der Waldrand war nahe, aber die Bäume standen am Anfang zu weit voneinander entfernt und würden den Reiter nicht aufhalten. Er würde den anderen den Weg zu ihrer Fährte weisen: den Fußsoldaten, die nachfolgen würden …
    Das Tier wieherte, und der Reiter kam im Galopp auf ihn zu. Ohne nachzudenken hielt Arekh Ausschau nach dem Sporn, sprang, packte den Mann am Bein und zerrte. Wenn der Soldat sein Schwert gezogen gehabt hätte, hätte Arekh damit sein Todesurteil unterzeichnet, aber das war nicht der Fall. Der Mann hatte sicher nicht damit gerechnet, dass die Flüchtigen bereit waren, sich zu verteidigen. Vielleicht hatte er nur ihre Fährte nicht verlieren wollen, vielleicht hatte er darauf gehofft, dass sein Hauptmann ihn dafür loben würde, die Initiative ergriffen zu haben …
    Das Pferd hätte fast das Gleichgewicht verloren, setzte seinen Lauf dann aber fort, während sein Reiter sich mit Arekh im Staub wälzte. Arekh wartete nicht ab, bis der Mann eine Waffe ziehen konnte, bevor er mit seiner zustach - Marikanis Dolch, der mit dem Sonnenstein verziert und von einem Goldschmied in den Vorstädten von Harabec ohne Zweifel zu dekorativen Zwecken angefertigt worden war. Ein Kettenhemd schützte den Leib des Soldaten, aber eine seiner Beinschienen war verrutscht. Arekh stach ihm in den Schenkel und zielte dabei auf die Arterie; dann stach er erneut zu, wo er nur konnte, in den anderen Schenkel, den Arm, die Hand. Es war ein wahres Gemetzel, während der Soldat brüllte und sich wehrte. Schließlich erspähte Arekh den entblößten Hals seines
Gegners, aber er war zu erschöpft, und so war der erste Stich nicht tödlich … Er musste ein zweites Mal mit der Klinge zustoßen, diesmal ins Kinn des Soldaten, so dass er ihm die Zähne ausschlug und sicher auch die Zunge und die Stimmbänder durchschnitt, bevor sein Gegner endlich still war.
    Arekh stand schwankend auf. Die dunklen Flecken wurden immer zahlreicher und trübten ihm den Blick. Alle Muskeln taten ihm weh. Seine Beine zitterten. Dennoch gelang es ihm, die Bäume zu erreichen, zwischen denen die anderen auf ihn warteten - auf ihn warteten ? Waren sie denn verrückt? Und sie wanderten, wanderten weiter, einfach geradeaus und auf das Herz des Waldes zu, quer durchs Unterholz, zerbrachen Zweige und gingen dorthin, wo die Blätter am dichtesten und schwärzesten waren. Arekh sah und hörte kaum noch etwas; seine Erschöpfung und seine Schmerzen waren so schlimm,
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