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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos
Autoren: William Boyd
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Zusammenfassung der Geschichte der Eva Delektorskaja überreicht hatte – und ebendie hielt sie gerade in den Händen. Bei unserem Treffen hatte Thoms vergeblich versucht, seine Erregung zu verbergen, ich spürte das Betteln und Flehen des Gelehrten hinter der ruhig vorgetragenen Darlegung dessen, was seiner Auffassung nach in Amerika zwischen Lucas Romer – »Mr A«, wie er ihn nannte – und Eva Delektorskaja vorgefallen war. Gib mir das ganze Manuskript, sagten seine Augen, lass mich machen. Ich versprach ihm nichts.
    Viel von dem, was er sagte, war mir zu hoch, oder meine Konzentration ließ zu wünschen übrig – massenhaft Abkürzungen und Namen von Residenten und Rekruteuren, russischen Politbüromitgliedern und NKWD-Leuten, die vermutete Identität der Männer, die mit im Raum waren, als Eva zum Prenslo-Zwischenfall verhört wurde, und so weiter und so weiter. Seine interessanteste Aussage war, dass er Romer unmissverständlich als russischen Agenten identifizierte – davon schien er felsenfest überzeugt –, und rekrutiert worden sei er vermutlich während seines Studiums an der Sorbonne in den zwanziger Jahren.
    Dieser Umstand bot ihm auch die Erklärung für das, was in Las Cruces geschehen war. Seiner Meinung nach lieferte der Zeitpunkt den entscheidenden Hinweis, denn der war eng gebunden an die Ereignisse in Russland Ende 1941, als ein anderer Sowjetspion, Richard Sorge, an Stalin und das Politbüro gemeldet hatte, Japan habe nicht vor, über die Mandschurei nach Russland vorzustoßen, sondern richte seine Interessen auf den Westen und den Pazifik. Die unmittelbare Konsequenz für die Russen bestand darin, dass eine große Zahl von Divisionen für den Kampf gegen die Deutschen frei wurde, die noch immer auf Moskau vorrückten. Aber der deutsche Vormarsch wurde durch den zähen russischen Widerstand gebremst; die Überdehnung der Nachschublinien, Ermüdung und der Wintereinbruch sorgten dann dafür, dass er wenige Meilen vor Moskau zum Stillstand kam.
    Thoms griff nach einem Buch und öffnete es an einer markierten Stelle, nachdem er mir das Vorangegangene erklärt hatte. »Ich zitiere Harry Hopkins«, sagte er. Bei dem Namen Harry Hopkins musste ich sofort an Mason Harding denken.
    Thoms las: »Als sich die neuen russischen Armeen von der mandschurischen Front um Moskau formierten und auf den Befehl zum unausbleiblichen Gegenangriff warteten, setzte sich beim russischen Oberkommando – und vor allem auch beim NKWD und den anderen Geheimdiensten – die Erkenntnis durch, dass sich das Blatt gewendet hatte: Die Aussicht, dass Russland die Deutschen schlagen konnte, erschien plötzlich realistisch. Gewisse Kräfte in der Sowjetregierung begannen an die Zukunft zu denken, an die politische Neuordnung der Nachkriegswelt.«
    »Was hat das mit der Agentin Salbei zu tun, die sich in der Wüste von New Mexico aus einem Auto befreien musste?«
    »Das ist ja gerade das Faszinierende«, sagte er. »Sehen Sie, einige Russen, besonders bei den Geheimdiensten, überlegten sich, dass es auf lange Sicht das Beste war, wenn die USA nicht in den Krieg eintraten. Wenn die Russen tatsächlich siegten, würde ihnen nichts so sehr zuwider sein wie eine starke US-Präsenz in Europa. Russland könne, genügend Zeit vorausgesetzt, den Krieg auch allein gewinnen. Nicht alle stimmten dem zu, natürlich.«
    »Ich kann noch immer nicht folgen.«
    Er erklärte: Gegen Ende 1941 richtete der NKWD seine Aufmerksamkeit auf die energischen Anstrengungen der Briten, die USA zu einem Bündnis mit England und Russland gegen die Nazis zu bewegen. Diese Bemühungen schienen Früchte zu tragen: Aus russischer Sicht sah es so aus, als würde Roosevelt nur auf einen geeigneten Anlass warten, um der geplanten Allianz beizutreten. Das Auftauchen der brasilianischen Landkarte spielte eine Schlüsselrolle in diesem Propagandakrieg – offenbar führte sie tatsächlich einen Stimmungswandel herbei. Ein großer Coup der BSC, so sagte man. Die öffentliche Meinung der USA sprach viel eher auf eine Bedrohung an, die sich an den eigenen Grenzen aufbaute, als auf eine, die dreitausend Meilen entfernt war.
    Also, schlussfolgerte Thorns, war genau diese Entwicklung wahrscheinlich die Ursache dafür, dass Mr A durch seine Hintermänner instruiert wurde, die zunehmend erfolgreiche Propaganda der BSC zu unterminieren und als solche zu entlarven. Für Thorns’ Begriffe waren die Ereignisse von Las Cruces sehr typisch für diese Art von
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